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Partei ausgesetzt gesehen. Zu ihm habe er noch nach 1933, gegen den Willen des NS-Orts-
gruppenleiters, stets freundschaftliche Beziehungen gepflegt. Ich selbst war persönlich mit
Herrn Stengler in Zürich und Basel, wo wir uns bekannte früher in Freiburg wohnende Juden
besuchten und haben Herr Stengler und ich diese Verbindung mit den Juden bis zum Kriegsbeginn
1939 und noch darüber hinaus laufend unterhalten.46 Die gemeinsamen Reisen kamen
wahrscheinlich zustande, weil der damalige Bürgermeister in seiner Funktion als Vorsitzender
des Verwaltungsrates der Sparkasse dessen Leiter begleitete. Inwieweit selbst nach 1939 noch
Kontakte zu Juden bestanden, wäre zu klären. Mit seiner Stellungnahme und den Belegen, die
er beibringen konnte,47 überzeugte Stengler jedenfalls die Entnazifizierungsbehörden. Er
wurde am 11. August 1947 von der Spruchkammer als Entlasteter (Klasse V) eingestuft.48
Erwin Stengler setzte seine Erinnerungen an Max Bloch gezielt ein, um sich zu schützen.
Seine Verteidigungsstrategie im Devisen- und Dienststrafverfahren macht in beeindruckender
Weise sichtbar, welche Spielräume unter der nationalsozialistischen Herrschaft bestanden. Die
Argumentation im Entnazifizierungsverfahren nutzte nicht zuletzt die damaligen Anschuldigungen
, um seine Unterstützung von Juden hervorzuheben und sich damit zu entlasten. Als
Kern dieser Geschichte schält sich heraus: Stengler hat sich zwar im nationalsozialistischen
Regime eingerichtet, um seine Existenz zu sichern, aber er hat seine Beziehung zu Max Bloch
stärker gewichtet als die Anforderungen von Staat und Partei.
Max Bloch, dem er geholfen hatte, dem „Dritten Reich" zu entkommen und dabei wenigstens
einen Teil seines Vermögens mitzunehmen, hat dennoch das Ende der NS-Herrschaft nicht
erlebt. 1936 war Bloch nicht in Basel geblieben, sondern hatte sich in St. Louis im Elsass niedergelassen
und war französischer Staatsangehöriger geworden.49 Seine Frau Hilda, seine Kinder
Lore und Karl Heinz sowie sein Bruder Ludwig folgten ihm kurz darauf. Von St. Louis aus
betrieb er als Mitinhaber die Basler Schuhsohlerei und -färberei «Renova A.G.». 1938 wurde
ihm die Einreise nach Basel verweigert. Erst nachdem die Firma bestätigt hatte, dass er keine
berufliche Tätigkeit ausübe, also nicht den Arbeitsmarkt belaste, sondern lediglich als Geldgeber
die Bücher kontrolliere, erhielt er kurzfristige Einreisebewilligungen, musste aber immer
wieder versichern, dass er nach Frankreich zurückkehren werde.
1940 verschärfte sich die Situation. Bloch war inzwischen nach Lectoure im Departement
Gers in der Gascogne umgezogen. Die Firma Renova hielt seine häufigere Anwesenheit in Basel
wegen geschäftlicher Umstellungen für notwendig und beantragte am 23. September 1940
ein entsprechendes Visum für Max Bloch. Der zuständige Beamte der Fremdenpolizei setzte
mit roter Tinte ein Fragezeichen neben die Anmerkung Herr Bloch kann als französischer
Staatsangehöriger jederzeit wieder ausreisen und fügte ein J (= Jude) hinzu; auch die gesamte
Akte ist mit einem J gekennzeichnet.50 Offensichtlich war ihm bewusst, dass die Rückkehr
Blochs nicht mehr problemlos vonstatten gehen könne, nachdem vor kurzem Nazi-Deutschland
Frankreich militärisch besiegt hatte. Auch bei späteren Gesuchen - Bloch hatte unterdessen
seine Aktienanteile an der Firma verkauft, blieb ihr aber vertraglich als Berater verbunden
- wurde seine Konfession rot unterstrichen, um diese „Problematik" angemessen zu berücksichtigen
.51 Trotzdem erhielt er wieder kurzfristige Bewilligungen. Als er am 3. Dezember
1940 jedoch einmal um Verlängerung des Visums bat, weil ihm die Zeit nicht reiche, lehnte
46 StadtAEl, 141/71, Nr. 434.
47 Darunter waren die bereits erwähnte Bescheinigung Baders (vgl. Anm. 16) sowie Auszüge aus dem Urteil der
Dienststrafkammer vom 17. Mai 1939 (die Kopien, die Stengler Rapp übersandte, enthalten nicht die Details zu
den Wertpapierverkäufen).
48 StAM, SpkA K 1773 Erwin Stengler. Vgl. auch Gespräch mit Brigitte Haas, 28.4.2001.
49 Die folgenden Ausführungen, soweit nicht anders angemerkt, nach: Staatsarchiv Basel-Stadt (StABS), Akten der
Fremdenpolizei: Kontrollkarte AK 32441 (Hilda Bloch), PD-REG 3, 32441 (Max Bloch).
50 Vgl. Georg Kreis: Die Rückkehr des J-Stempels. Zur Geschichte einer schwierigen Vergangenheitsbewältigung.
Zürich 2000.
51 Zum Beispiel beim Gesuch vom 5.8.1941.
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