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allen Söhnen aufgeteilt wurde, so dass die Güter mit jeder Generation immer kleiner wurden.
Dazu kam dann noch die teilweise hohe Verschuldung, wie der Erlass berichtet: Es kann auch
nicht genügen, daß der zerstückelte Besitz für die vorhandenen Familien einen in guten Jahren
etwas größeren als zu ihrem eigenen Unterhalt nothdürftigen Ertrag abwerfe. Gewinnreich
kann die Landwirtschaft nur bei größerem Besize u. von dem dadurch möglichen bedeutenderen
Marktabsatz gemacht werden. Wo aber, wie am Kaiserstuhl, das zur Ernährung der übergroßen
Bevölkerung alleinige landwirtschaftliche Besitztum in seiner Zerstückelung zugleich
noch mit nicht bloß angemessenen Betriebskapitalien belastet, sondern zum großen Theile
ganz verschuldet ist, da müßte die dringendste Hinweisung der Bevölkerung auf Industrie erkannt
werden.
Auch an anderer Stelle wird deutlich, dass die Behörden die Förderung der Industrialisierung
als wichtigstes Mittel gegen die Armut sahen: Ganz besonders ist ins Auge zufassen, daß
zu einer nachhaltigen Besserung der ökonomischen Zustände am Kaiserstuhl die Einführung
von angemeßenen Industrien daselbst als eine Hauptaufgabe erscheinen muß. Denn es läßt
sich nicht verkennen, daß daselbst das landwirtschaftliche Areal verhältnismäßig der bereits
vorhandenen und fortwährend zunehmenden Bevölkerung, die auf dessen Ertrag ausschließlich
angewiesen ist, zu klein ist, um in der Zerstückelung den Unterhalt der einzelnen Familien
zu sichern.
Aus diesem Grund erscheinen am Ende des Textes einige Überlegungen, welche Industrie
man in der Kaiserstuhlregion am besten ansiedeln könnte: Die Zuckerfabrikation sei wegen
der zu geringen landwirtschaftlich nutzbaren Fläche unrentabel; der Aufbau einer Seidenfabrik
wird nach einem Beratungsgespräch mit einem Freiburger Seidenfabrikanten ebenfalls verworfen
. Als ernsthafter Lösungsvorschlag erscheint am Ende der Hanfanbau: Der Hanf sollte
einerseits in einer Fabrik zu Schiffsseilen und -segeln verarbeitet werden. Andererseits könnten
in Heimarbeit Gewebe hergestellt werden und so ein Zweig der häuslichen Industrie entstehen
.
Zahlreiche Kaiserstühler zogen auch in andere Gegenden, um dort Arbeit in einer Fabrik zu
bekommen. In den Akten des Bezirksamts Breisach finden sich einige Anfragen, in denen die
lokalen Behörden aufgefordert werden, Listen von Arbeitswilligen zu schicken. So lieh sich
zum Beispiel eine Eisenfabrik in Waldshut Arbeiter aus der Kaiserstuhlregion.
Neben dem Erlass der Regierung des Oberrheinkreises geben auch Dokumente aus dem
Pfarrarchiv Pf äffen weiler Einblick in die soziale Lage einer Gemeinde Mitte des 19. Jahrhunderts
. Aus der Akte „Kirchenvisitation und Statistik" geht beispielsweise hervor, dass in Pfaffenweiler
1847 eine Suppenküche eröffnet wurde. Innerhalb von fünf Monaten wurden dort
fast 20.000 Portionen verteilt. Wenn man annimmt, dass jeder Bedürftige eine Portion am Tag
bekam, kommt man auf eine Zahl von ungefähr 100-150 Hilfeempfängern - bei 1.269 Einwohnern
im Jahr 1852 (Höchststand im 19. Jh.) ein beträchtlicher Anteil.
Das Ausmaß der Armut, unter der zahlreiche Menschen Mitte des 19. Jahrhunderts zu leiden
hatten, wird aus dem erheblichen Bevölkerungswachstum verständlich, das in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts wie in sehr vielen Gegenden Europas auch in Baden anzutreffen
ist. So lebten im Großherzogtum Baden 1810 974.000 Menschen, 1834 schon 1.230.791 und
1849 1.362.774.13 Das entspricht einer Zunahme um fast 40% in 40 Jahren, wobei in diesen
Zahlen das Ergebnis von diversen Auswanderungsbewegungen schon enthalten ist. Dass die
Situation am Kaiserstuhl nicht grundsätzlich anders war, zeigt das Beispiel Burkheim:14 lebten
dort 1818 nur 598 Einwohner, so stieg ihre Zahl von 711 im Jahr 1822 auf 844 im Jahr
13 Nach Willi A. Boelcke: Handbuch Baden-Württemberg. Politik, Wirtschaft, Kultur von der Urgeschichte bis
zur Gegenwart. Stuttgart 1982, S. 188.
14 Helmut Witt: Abriss der Geschichte von Burkheim. In: 1200 Jahre Burkheim. Hg. im Auftrag der Stadtverwaltung
Burkheim und der Winzergenossenschaft Burkheim. Endingen 1963, S. 34.
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