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den Gemeindekassen bereits zur Last liegen oder zur Last zufallen drohen, bedarf gegenwärtig
, wie uns scheint, keiner Aufmunterung, da in dieser Hinsicht von Seiten der Gemeinden in
neuester Zeit, namentlich für die Auswanderung nach Algerien, das Möglichste zu geschehen
scheint u. die Auswanderungslust immer noch im Wachsen begriffen ist.
Algerien war ein besonders beliebtes Ziel: Durch die kürzere Schiffspassage und die Förderung
durch die französische Regierung war eine Algerien-Auswanderung deutlich billiger
als eine Auswanderung nach Amerika und damit für die Gemeinden attraktiver.
Für den südlich von Freiburg gelegenen Ort Pfaffenweiler ist eine solche vom Gemeinderat
finanzierte Auswanderung besonders gut dokumentiert.19 In dem Ort ist übrigens noch heute
eine Spur dieser Geschichte zu finden: Der Gemeinderat hatte zur Finanzierung der Auswanderung
beschlossen, ein Stück des Gemeindewaldes abzuholzen, was einen Erlös von 5.600
Gulden brachte. Das Gewann heißt bis heute „Afrika".
Die Reise
Die Reise führte normalerweise zunächst ins Elsass nach Colmar, wo die Auswanderer bei der
Präfektur ihre Reisepässe erhielten. Dort bekamen sie auch ein nach Kilometern bemessenes
Verpflegungsgeld bis nach Marseille sowie die Erlaubnis zur kostenlosen Überfahrt nach Algerien
. Laut den Angaben in der Broschüre des Zweigvereins für deutsche Auswanderung
reichte das Verpflegungsgeld nur dann aus, wenn die Auswanderer den Weg von Colmar nach
Marseille zu Fuß zurücklegten. Bei Benutzung von Schiffen und Eisenbahnen deckte das Verpflegungsgeld
nur die Fahrtkosten ab; den Unterhalt mussten die Auswanderer aus eigener
Tasche bezahlen.
Den Trecks von deutschen Algerien-Auswanderern schlössen sich häufig Auswanderer aus
dem Elsass an. Dann ging es über Mulhouse und Besancon nach Süden, schließlich ab Lyon
die Rhone abwärts bis zur Küste und nach Marseille, wo die Auswanderer gegebenenfalls Wagen
und Zugtiere verkauften, die sie nicht mit auf das Schiff bringen durften. Vom Hafen von
Marseille aus fuhren die Schiffe in den algerischen Hafen Oran. Häufig kam es vor, dass die
Siedler in Marseille oder nach ihrer Ankunft in Oran längere Zeit warten mussten; in zahlreichen
Briefen berichten die Auswanderer, sie seien dort auf Depot gelegen. Die Versorgung der
Auswanderer während dieser Zeit wurde von der französischen Regierung bei einem privaten
Unternehmer in Auftrag gegeben. Die Militärverwaltung von Marseille hatte einen Katalog mit
genauen Vorschriften erlassen, was bei der Verpflegung und Unterbringung der Auswanderer
zu beachten war:20 In ihm ist nicht nur vorgesehen, woraus die tägliche Suppe bestehen solle,
sondern zum Beispiel auch, dass den Auswanderern eine Kontrollwaage zur Verfügung gestellt
werden müsse, um zu prüfen, ob sie die Nahrungsmittel auch in der vorgeschriebenen Menge
erhalten haben. In einer Vorschrift wird sogar angeordnet, dass die Teller vorgewärmt sein
müssen!
Obwohl die Realität wahrscheinlich nicht so gut aussah, zeigten sich die Auswanderer vom
Kaiserstuhl sehr zufrieden mit ihrer Versorgung. So heißt es in einem Brief von Jakob Beck
aus Achkarren über die Wartezeit in Marseille: Morgens 10 Uhr und Abends 4 Uhr bekamen
wir Fleisch und Gemüse genug nebst dem schönen Weißbrot und einige gar Wein, von dem
dicken Roten.21 Äußerst ungewohnt war für die Dorfbewohner vom Kaiserstuhl die Seereise.
Keiner von ihnen war vorher schon einmal am Meer gewesen. Es ist nicht erstaunlich, dass
sich in den Briefen auch eine Beschreibung der Seekrankheit findet.
19 Siehe Auer (wie Anm. 11) und Gerhard Auer: „Afrigka", „Affrika" - Die Kollektivauswanderung aus Pfaffenweiler
im Jahr 1853. In: Beiträge zur Volkskunde in Baden-Württemberg 1985, S. 23-70.
20 Hans-Bernhard Kradepohl: Heimbacher Auswanderer nach Algerien im Jahr 1854. In: S'Eige Zeige 16, 2002,
S.43 f.
21 StAF, B 694/1, Nr. 56 (wie Anm. 1).
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