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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
123.2004
Seite: 150
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gen den Denunzianten eine Gefängnisstrafe verhängt.52 Solche Vorfälle dürften sich auf dem
Lande schnell herumgesprochen und durchaus dämpfend auf die vom Regime zweifellos geförderte
Denunziationsbereitschaft gewirkt haben. Hinzu kam, dass das Abhören vielfach auch
als Kavalierdelikt empfunden wurde, wofür man jemanden nicht unbedingt ins Zuchthaus bringen
wollte. Allerdings häuften sich nach der Kriegswende von Stalingrad die politisch motivierten
Denunziationen, in Erscheinung tritt ein besonderer Typus von Denunzianten: „Die unbelehrbar
,gläubigen' Anhänger Hitlers, die es - aus inneren psychologischen Gründen - nicht
wahrhaben wollten, dass das Dritte Reich zu Ende ging."53

Rund die Hälfte der Rundfunkverfahren des Freiburger Sondergerichts können auf Denunziationen
zurückgeführt werden, wobei die Dunkelziffer wohl höher zu veranschlagen ist. Das
erscheint zunächst viel. Vergleicht man jedoch die, wenn auch nur geschätzten Zahlen von Ab-
hörern, mit der Anzahl der verurteilten „Rundfunkverbrechern", so relativiert sich der auf den
ersten Blick entstandene Eindruck. Was beispielsweise die Zahl der deutschen BBC-Hörer betrifft
, so gingen durchaus realistische Schätzungen in Großbritannien, die sich auf „Beobachter
mit direkten und indirekten Erfahrungen in Deutschland" stützten, von einer Hörerzahl von
einer bis drei Millionen während des Krieges aus.54 Dagegen nimmt sich die Zahl von reichsweit
einigen tausend Verurteilten,55 in Freiburg 165 Beschuldigten, über den gesamten Kriegszeitraum
letztlich gering aus. Dieser Vergleich mag ein Indiz sein für eine eher mäßige Denunziationsbereitschaft
, zumindest was „Rundfunkverbrechen" betrifft.56 Ein weiterer Beleg
für diese These findet sich schon früh in einem Lagebericht des Generalstaatsanwalts in Karlsruhe
. So berichtete dieser kurz nach Inkrafttreten der Rundfunkverordnung leicht erstaunt nach
Berlin, dass entsprechende Anzeigen wider Erwarten verhältnismäßig wenige eingegangen
[sind], obwohl auf Grund dieser Verordnung mit vielen Denunziationen gerechnet werden
muß.51

An der letztlich geringen Zahl abgeurteilter „Rundfunkverbrecher" hatte auch die Verfolgungsintensität
der Gestapo, wie sie u. a. in der Stellung von Strafanträgen zum Ausdruck kam,
einen wesentlichen Anteil. Das staatspolizeiliche Verhalten hinsichtlich des Umgangs mit den
gefassten Abhörern ist schwer zu bewerten und unterlag im Verlauf des Krieges offenbar starken
Modifikationen. Detailstudien liegen hierzu zwar nicht vor, jedoch erlauben Stichproben
aus den größten erhaltenen Gestapo-Beständen der Stapo-Stellen Würzburg und Neustadt an
der Weinstraße sowie der Stapo-Leitstelle Düsseldorf einen Einblick in die staatspolizeiliche
Sanktionspraxis. Zusammen mit der Auswertung zentraler Erlasse und Statistiken aus dem Geheimen
Staatspolizeiamt bzw. dem Reichssicherheitshauptamt lässt sich mit aller gebotenen
Vorsicht durchaus ein Bild vom staatspolizeilichen Verhaltensmuster in der Handhabung des
Delikts „Rundfunkverbrechen" gewinnen. Demnach wurden gegen allenfalls 20 bis 50 Prozent
der ertappten „Schwarzhörer" Strafanträge gestellt und somit den Sondergerichten überantwortet
. In mehr als der Hälfte der Fälle - je nach Beweislage, Abhörumständen und (politi-

52 Vgl. das Verfahren StAF, A47/1-733-742.

53 So Martin Broszat: Politische Denunziationen in der NS-Zeit. Aus Forschungserfahrungen im Staatsarchiv
München. In: Archivalische Zeitschrift 73, 1977, S. 221-238, hier S. 236.

54 Bezüglich der beiden Zahlenangaben vgl. Bernhard Wittek: Der britische Ätherkrieg gegen das Dritte Reich.
Die deutschsprachigen Kriegssendungen der British Broadcasting Corporation. Studien zur Publizistik. Bd. 3.
Münster 1962, S. 187.

55 Vgl. Statistisches Reichsamt: Die Entwicklung der Kriminalität im Deutschen Reich vom Kriegsbeginn bis Mitte
1943. Berlin 1944; Nürnberger Dokument NG 908 sowie BArch, R 22/1160.

56 Vgl. hierzu Michael P. Hensle: Denunziantentum und Diktatur: Die Denunziation als Mittel der Machtausübung
und Konfliktaustragung im nationalsozialistischen Deutschland. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft
, Heft 2, 2003, S. 144-161.

57 Lagebericht des Generalstaatsanwalts in Karlsruhe vom 14.10.1939; zitiert nach Jörg Schadt: Verfolgung und
Widerstand unter dem Nationalsozialismus in Baden. Die Lageberichte der Gestapo und des Generalstaatsanwalts
Karlsruhe 1933-1940. Stuttgart 1976, S. 289.

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