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führten einen Kampf für ihre eigenen Interessen, für ihre Lebensqualität: Gerade wir brauchen
die Straßenbahnen am nötigsten! Gerade für uns sollten die Preise gesenkt werden!20
Bei den Studenten traten mehrere Gruppen in Erscheinung. An erster Stelle steht der SDS
als treibende Kraft der Demonstrationen. Er war Anlaufstelle für alle, die die Revolution bzw.
die Revolte wollten. Im Unterschied zu anderen politischen Studentengruppen richtete der
SDS seine Aktivitäten nicht primär auf Gremienarbeit innerhalb der Universität. Er hatte eine
Doppelfunktion als politische Hochschulgruppe und als offene Institution der Bewegung. Aus
dem SDS kam der eigentliche Antrieb zum Protest, der grundlegende Gesellschaftskritik ein-
schloss. Der Staat, so wurde argumentiert, wird repressiv, wenn das Volk seine Mündigkeit einmal
unter Beweis stellen will. Dann zeigt der Ruf nach Ruhe und Ordnung, nach Knüppeln und
Wasserwerfern, wie schwach die demokratische Fassade ist... Nur so werden ,die Herren da
oben' begreifen, daß sie für das Volk da sind - nicht umgekehrt - daß sie zum Volk kommen
und sich verantworten müssen, wenn dieses ruft.2*
Die öffentliche Wahrnehmung „der" Studenten war jedoch stark durch die studentischen
Hochschulgremien geprägt. So liefen Gespräche zwischen „den" Studenten und der Stadtverwaltung
grundsätzlich über den AStA und den Studentenrat. Der Studentenrat (StR) bestand
aus 30 gewählten Mitgliedern verschiedener Hochschulgruppen, die wiederum die Zusammensetzung
des AStA bestimmten. Im Februar 1968 war der SDS in diesen Gremien zwar
vertreten, die Mehrheit stellten aber linksliberale bzw. bürgerliche Vereinigungen: Sozialdemokratischer
Hochschulbund (SHB), Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS),
Liberaler Studentenbund Deutschlands (LSD), konfessionelle Gruppen und Vertreter der Burschenschaften
. Die stärkste Fraktion im AStA war die Liste Unabhängiger Studenten (LUST).
Mit einem radikal-demokratischen Konzept trat sie für die materielle Verwirklichung der Menschenrechte
sowie für eine soziale und demokratische Gesellschaftsordnung ein.22 Die LUST
grenzte sich in ihrer Hochschul-Wahlwerbung 1968 ausdrücklich von jeglichen parteipolitischen
Zugehörigkeiten ab.
Auslöser der Bewegung
In den letzten Januartagen hielt ein politisches Großereignis die Freiburger in Atem. Die FDP
führte am Montag, den 29. Januar 1968, in der Stadthalle ihren Bundesparteitag durch. Auf
Einladung des Liberalen Studentenbundes sollte der SDS-Ideologe Rudi Dutschke23 Montagnachmittag
zur Diskussionsrunde mit FDP-Bundespolitikern anreisen. Diese Veranstaltung
wurde von den Jungdemokraten, der FDP-Jugendorganisation, aufgrund des Druckes aus der
Parteiführung jedoch in letzter Minute abgesagt. Dutschke kam dennoch. LSD und SDS hatten
nun zu einer Kundgebung unter dem Motto Fürchtet die FDP die Diskussion?24 vor die
Stadthalle mobilisiert. Einzig der Soziologie-Professor und FDP-Politiker Ralf Dahrendorf
fand sich zu einem Streitgespräch mit Rudi Dutschke auf einem Autodach bereit. Etwa 3000
Kundgebungsteilnehmer und Neugierige verfolgten die Prominenten-Diskussion. Dieses
Großereignis und Nachrichten über Unruhen in anderen Städten schufen konkrete Bezüge zwischen
Freiburg und entfernten Großstädten.
Nicht nur in Freiburg sollten die Straßenbahntarife zum Jahresbeginn 1968 erhöht werden.
In Bremen hatte es im Januar erfolgreiche Proteste gegeben. Nur wenige Tage, nachdem in der
Zeitung von Krawallen in Bremen zu lesen war, wandten sich die Freiburger Verkehrsbetriebe
20 StadtAF, M 31/3a; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 9209.
21 StadtAF, C5/5373; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 11397.
22 ASBF, 5.3.2.1.
23 Badische Zeitung v. 27/28.1.1968; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 11190.
24 ASBF, 5.3.4.1.1; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 11195.
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