http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2004/0207
Der Gemeinderat trat nach den Stellungnahmen der Interessengruppen in eine insgesamt
fünfstündige Debatte über die Straßenbahntarife ein. Danach wurde endgültig beschlossen, die
Tarife, wie sie bereits seit Dezember festgelegt waren, zum 1. März einzuführen und um kleinere
soziale Vergünstigungen und eine weitere Wochenzeitkarte zu ergänzen.
Die Freiburger Schüler und Studenten konnten sich mit ihren Argumenten und Forderungen
nicht durchsetzen. Dennoch unterblieben weitere Demonstrationen. In Flugblättern rief die
AktionsGemeinschaft gegen die Fahrpreiserhöhung am folgenden Tag zu weiteren Protesten
auf. Wer die ,Diskussion'gestern im Stadtrat miterlebt hat, weiß, was von solchen Redereien
zu erwarten ist: NICHTS!74 Der Aufruf wurde vor allem unter Schülern verteilt. Um 13 Uhr
fanden sich nur 30 bis 40 Demonstrationsentschlossene ein. Statt zu blockieren, diskutierten
sie mit dem Oberbürgermeister, der ebenfalls zum Bertoldsbrunnen gekommen war. Der SDS
verteilte derweil Flugblätter, in denen er zur Teilnahme an der Berliner Vietnamkonferenz aufrief
.75
Einen Tag vor Einführung der neuen Tarife wurde in der Uni noch einmal öffentlich über
die Fahrpreise und Demonstrationen diskutiert. Die Nachbereitung der turbulenten Demonstrationstage
lief zu diesem Zeitpunkt bereits. Zahlreiche Schüler und Studenten bekamen etwa
zwei Wochen nach der letzten Demonstration Vorladungen zur Kriminalpolizei. Sie wurden
verhört, sollten weitere Namen nennen und wurden eingeschüchtert.76 Die Verhöre taten ihre
Wirkung. Wir durften nicht zur Demonstration aufrufen (Rädelsführer...), hieß es in einem
Flugblatt, das am Tag der Tariferhöhung vor Schulen verteilt wurde. Aber wir können ja mal
gucken, ob um 13 Uhr am Bertoldsbrunnen demonstriert wird.71 Etwa 30 bis 40 Protestierer
fanden sich ein, aber die Verkehrspolizei hatte mit ihnen keine Mühe.78 Die Schüler und Studenten
konnten ihre zentralen Forderungen letztlich nicht durchsetzen. Gescheitert war ihre
Bewegung damit aber noch nicht.
Die Bürgerinnen und Bürger
Die Reaktionen der Freiburger Bevölkerung auf die Fahrpreiserhöhungen und Demonstrationen
lassen erahnen, welch weitreichende Wirkung die Demonstrationen in verschiedensten gesellschaftlichen
Gruppen entfalteten. Bemerkenswert ist, dass viele, die gar nicht direkt an den
Auseinandersetzungen beteiligt waren, aktiv wurden, um ihre Meinung zu äußern. In den
Tagen der Demonstrationen wurden viele Briefe geschrieben: Leserbriefe an die Zeitungen, an
den Oberbürgermeister, an den AStA. Darin wurde zwar keineswegs durchgängig Zustimmung
zu den Protesten geäußert. Dennoch waren die Reaktionen aus der Bevölkerung ein direkter Erfolg
der Demonstrationen. Die häufig stark emotional formulierten Zuschriften bezeugen, wie
sehr viele durch die Proteste bewegt wurden. Einzelne Beispiele können Eindrücke von der erregten
Debatte vermitteln. Das Spektrum der Meinungen war erwartungsgemäß breit gefächert.
Die meisten Verfasserinnen und Verfasser beteiligten sich an der Diskussion um die Formen
der Demokratie, um die Fragen, wie bzw. ob die jüngere Generation in öffentliche Entscheidungen
eingebunden werden sollte. Wechselseitig wurden den Demonstranten und der Stadtverwaltung
undemokratisches Verhalten vorgeworfen. So gab es Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung
, mit dem randalierenden Saupack nicht fertig zu werden und die Aufforderung an den
Oberbürgermeister: Bitte scheuen Sie auch keine Gewaltaktionen.79 Die Proteste wurden als
74 StadtAF, C5/5372; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 9055.
75 StadtAF, C5/5372; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 9058, 9059.
76 ASBF, S.3.4.1JÜ; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 2212.
77 StadtAF, C5/5372; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 9106.
78 StadtAF, C5/5372; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 9124.
79 StadtAF, C5/5372; Müller (wie Anm. 1), Dok.-Nr. 8986.
207
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2004/0207