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Autoren erst erklären lassen muss (S. 89f): „Zone 30" bezeichnet einen verkehrsberuhigten Straßenbereich
. Der Terminus verweist hier auf die einstige „Judengasse", die heute in einem solchen verkehrsberuhigten
Bereich liegt. In dieser Breisacher Straßenpassage waren im Oktober 2000 im Rahmen eines viel
beachteten Projekts Bilder von ehemaligen Mitgliedern der jüdischen Gemeinde Breisachs auf die Fassaden
der Häuser projiziert worden, in denen diese früher gewohnt hatten. Eine „Zone 30" trage eigentlich
dem „Bedürfnis nach Ruhe und Sicherheit Rechnung" (S. 89). Die Bilder sollten seinerzeit diese trügerische
Ruhe, das Schweigen über das Schicksal der Breisacher Juden, eben die „Zone 30", aufschrecken
und gleichzeitig den fotografierten Personen die „Rückkehr aus dem Exil" bzw. aus dem „Dunkel des
Vergessens" (S. 90) ermöglichen. Zahlreiche Abbildungen dieser Diaprojektionen bilden nunmehr den
Kern des vorliegenden Buches (S. 44-83). Ergänzt werden die Fotos durch Artikel von Günter Boll und
Christiane Walesch-Schneller sowie durch Fotoarbeiten von Josef Arie Kornweitz. In ihrer Verschiedenheit
lassen sie das Buch zunächst etwas inhomogen erscheinen. Bei näherer Betrachtung stellt man jedoch
fest, dass die Beiträge als jeweils eigener Zugang von gegenwärtig aktiv in der Erinnerungsarbeit
tätigen Personen zu betrachten sind und somit durchaus einen inneren Zusammenhang aufweisen.
Günter Boll, der schon eine Reihe von Aufsätzen zur Geschichte jüdischer Familien und Gemeinden
in Breisach, im Markgräflerland und im Elsass veröffentlicht hat, findet seinen Zugang zur Thematik über
die Beschäftigung mit den Überresten jüdischer Kultur. Er beschreibt, unterstützt von atmosphärischen
Fotografien (leider ist der Fotograf nicht angegeben) und einem Gedicht von Claude Vigee („Die Gräber
im Wald"), den alten jüdischen Begräbnisplatz von Mackenheim im Unterelsass, auf dem zwischen 1685
und 1752 auch die verstorbenen Breisacher Jüdinnen und Juden bestattet wurden und der somit ein wichtiges
Zeugnis des neuzeitlichen Breisacher Judentums darstellt (S. 15-25).
Die Psychoanalytikerin Christiane Walesch-Schneller berichtet danach über ihre persönliche Motivation
, sich seit mehreren Jahren aktiv und exponiert der Geschichte der jüdischen Gemeinde Breisachs zu
widmen und „den Geschichten der 250 Breisacher Juden nachzugehen, die im Januar 1933 Bürger dieser
Stadt waren". (S. 36). Ihr Bericht wirft eine bedeutsame soziologische Fragestellung auf: Eine Analyse
der Beweggründe (oder sogar der biographischen Hintergründe) der nichtjüdischen Deutschen, die
sich im regionalen Kontext entschlossen haben, aktive Erinnerungsarbeit zu den Verbrechen des Holocaust
zu leisten, erscheint mir hochinteressant und lohnend. Wie in vielen anderen Orten ist es auch in
Breisach mit Christiane Walesch-Schneller eine Person von außerhalb gewesen, eine „zugezogene" Akademikerin
, die diese Aufgabe übernommen hat. Leider scheint in ihren Ausführungen eine etwas überhebliche
Attitüde durch: „Meine Pläne stehen in auffälligem Kontrast zur ausgelassenen und weinseligen
Stimmung, in der sich Breisach gefällt" (S. 35).
Der Psychoanalytiker und Fotograf Josef Arie Kornweitz thematisiert schließlich anhand seiner im
Buch abgedruckten, ungewöhnlichen Fotocollagen (S. 96-111) die scheinbare Gegensätzlichkeit zwischen
dem jüdischen Kulturleben früherer Zeiten und der „entfesselten Produktivität" (Freddy Raphael
im Vorwort, S. 9) der Moderne. Dazu werden industrielle Gegenwartsmotive mit Bildern von Spuren jüdischen
Lebens in Breisach überblendet: „Die Lichter der Kristallnacht kleben an den Stahlträgern und
an den Frachtkähnen" (S. 9). In der Interpretation des Straßburger Historikers Freddy Raphael wird von
den „Fassaden einer anmaßenden Modernität" gesprochen und dieser „Welt der Effizienz" die jüdische
Gemeinschaft und Kultur früherer Zeiten entgegengesetzt, die erstere „überstrahlt". Hier wird ein wenig
reales Geschichtsbild davon vermittelt, wie früher alles besser, reiner war und eine „einfache und selbstverständliche
Würde" hatte (S. 9). Die historische Forschung, zumal die zum südbadischen Judentum,
lässt schon längst keine Zweifel mehr daran aufkommen, dass eine solche Polarisierung wenig mit den
tatsächlichen Entwicklungen zu tun hat und es beispielsweise gerade die Landjuden waren, welche an den
Errungenschaften der Moderne teilnehmen wollten. Zu diesem Zweck verließen sie in Scharen ihre angestammten
Gemeinden, um in den Großstädten des Landes ihr Glück zu versuchen.
Das Breisacher Dia-Projekt kann sicherlich als bemerkenswerte künstlerische Auseinandersetzung mit
der jüdischen Geschichte Breisachs angesehen werden. Zudem weist es auf einen in Inhalt und Umfang
für die Region kaum bekannten und deshalb hochinteressanten Fundus von jüdischen Privat- und Familienfotografien
hin. Im Wissen um die mittlerweile verstärkte Berücksichtigung fotohistorischer Fragestellungen
ist es allerdings bedauerlich, dass man nichts oder nur Unpräzises über die jeweiligen Fotografen
der Bilder bzw. über ihre Herkunft oder ihren Aufbewahrungsort mitgeteilt bekommt. Noch überraschender
ist die Feststellung, dass keine der abgebildeten Personen mit ihrem Namen versehen, d. h.
identifiziert wird. Freddy Raphael schreibt in seinem Vorwort zutreffend: „In einer Gesellschaft, welche
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