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Die Wiehre 1091-1120
Was nun die Eingrenzung des Zeitpunktes für diese Ausdehnung der Wiehre auf das Nordufer
der Dreisam angeht, so kann sie nicht lange vor oder mit den ersten Aktivitäten der Zähringer
im Zusammenhang mit dem Bau einer Burg auf dem Schlossberg eingesetzt haben, der von
der Forschung heute allgemein auf die Zeit um 1091 angenommen wird. Bereits zu Beginn des
Beitrags wurde auf das Fehlen jeglicher Nachrichten über wasserbautechnische Aktivitäten auf
dem Nordufer hingewiesen. Die Ökonomiegebäude der neuen Burg befanden sich am Fuß des
Schlossbergs, da ausreichend fließendes Wasser beispielsweise zum Antrieb einer Mühle vorhanden
sein musste. Zumindest ein Hof und eine Mühle, die mit größter Sicherheit aus dieser
Zeit stammen, sind in der heutigen Kartäuserstraße nachzuweisen. Es ist also sehr wahrscheinlich
, dass der heutige Gewerbekanal zwischen Sandfang und dem KG IV seine Entstehung
ebenfalls dem Burgbau auf dem Schlossberg verdankt.
Für eine Datierung in diese Zeit sprechen auch eine ganze Reihe anderer Hinweise, z. B. der
Verlauf der Stadtmauer am heutigen Augustinerplatz, die dort ihre Kreisform verließ und eine
deutliche „Ausbuchtung" ausbildete. Dafür wurden bereits bestehende Gebäude abgerissen,
was die Anfang der 1990er-Jahre durchgeführten Grabungen auf dem Harmonie-Gelände zeigten
. Schon diese Maßnahme kann nicht als willkürlicher Akt, sondern nur als eine bewusste
Entscheidung der Zähringer verstanden werden. Die bauliche Trennung bedeutete zugleich
auch eine rechtliche Unterscheidung zwischen dem mit einem Marktrecht ausgestalteten neuen
Bereich der Altstadt und dem bei der Burg verbleibenden Areal entlang des Gewerbekanals.81
Diese Ansicht wird durch die Lage derjenigen Liegenschaften unterstützt, mit denen die
Kapellen der Burg auf dem Schlossberg - „St. Lamprecht" und „St. Michael" - dotiert wurden
. Ohne darüber für Freiburg eine gesicherte Nachricht zu haben, ist jedoch anzunehmen,
dass am Ende des 11. Jahrhunderts eine Burgkapelle zur „Grundausstattung" einer herrschaftlichen
Burg des Hochadels gehörte, sowohl aus religiösen Gründen als auch aus organisatorischen
. Denn über die rein sakrale, gottesdienstliche Funktion hinaus war die Institution Burgkapelle
durch die Urkunden schreibenden, ausfertigenden und beglaubigenden Kapläne auch
mit weltlichen Aufgaben betraut.82 Eine Betrachtung der mit den Burgkapellen verbundenen
Liegenschaften macht deutlich, dass diese nicht nur entlang des Gewerbekanals lagen, sondern
sich auch mit jenen Stellen überschnitten, die mit „niederer Wiehre" bezeichnet wurden (vgl.
Abb. 3).
Auch die Immobilien, auf denen die Abgaben lagen, sprechen für einen frühen herrschaftlichen
Zugriff, denn es waren Mühlen und Walken betroffen. Diese Einrichtungen gehörten zu
den wichtigsten Gewerben eines burgus, da sie der Grundversorgung dienten.83 Eine Burgkapelle
war jedoch kein öffentlicher Stiftungsraum, sondern eine Privatangelegenheit der Herrscherfamilie
. Aufgrund dessen müssen die Dotierungen von den Zähringern selbst vorgenommen
worden sein. Das verdeutlicht auch die spätere Übertragung der Reliquien des hl. Lambert
von Lüttich auf die Burgkapelle, die in diesem Zusammenhang vermutlich einen neuen
Namen erhielt.84
81 Baeriswyl (wie Anm. 10), S. 110.
82 Gerhard Streich: Burgkapellen und ihre Patrozinien. In: Burgen in Mitteleuropa: Ein Handbuch. Bd. 2: Geschichte
und Burgenlandschaften. Hg. von Horst Wolfgang Böhme und der Deutschen Burgenvereinigung e.V.
Stuttgart 1999, S. 58-65, hier S. 58.
83 So kam es nicht von ungefähr, dass als eine der ersten so genannten Bänke auf dem Freiburger Markt, der sich
auf der heutigen Kaiser-Joseph-Stral3e befand, eine Laube der Tuchmacher erwähnt wurde, Hermann Flamm:
Der wirtschaftliche Niedergang Freiburgs i.Br. und die Lage des städtischen Grundeigentums im 14. und 15.
Jahrhundert. Karlsruhe 1905, S. 45.
84 Vgl. zu Rudolf von Lüttich und der Reliquie des hl. Lambert: Jean-Louis Kupper: Rudolf von Lüttich. In: Die
Zähringer. Anstoß und Wirkung. Hg. von Hans Schadek und Karl Schmid (Veröffentlichungen zur Zähringer-
Ausstellung II). Sigmaringen 1986, S. 198; Eduard Heyck: Geschichte der Herzöge von Zähringen. Freiburg
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