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die Gedanken eines freien Volksstaates enthält und die Prinzipien einer demokratischen und
sozialen Republik entfaltet.29 So hieß es im Offenburger Programm unter Punkt drei:
Es muss alsbald unter sofortiger Auflösung der jetzigen Ständekammern eine verfassungsgebende Lande
s\ er Sammlung berufen w erden, welche in sich die gesamte Rechts- und Machtvollkommenheit des badischen
Volkes vereinigt; - diese Landesversammlung soll gewühlt werden von und aus den sämtlichen
volljährigen Staatsbürgern des Landes und zwar unter Beibehaltung der für die bisherige zweite Kammer
bestandenen Wahlbezirke.™
Neben dem Wahlrecht für alle fordert das Offenburger Programm die Einführung einer progressiven
Einkommenssteuer, die Schaffung einer Pensionskasse, die Gründung von Gewerbekammern
zur Unterstützung des kleinen und mittleren Gewerbes und die Errichtung einer
Nationalbank. Damit sollen ein sozialer Ausgleich zwischen den verschiedenen Klassen angestrebt
und die Unterschiede der einzelnen Klassen in Bezug auf die politische Mitsprache
und Gestaltung im Staat aufgehoben werden.
Das soziale Programm der badischen Demokraten und die Idee eines Solidarstaates wurden
von der Gegenpropaganda als kommunistisch oder sozialistisch beschrieben und stießen im
Besitz- und Bildungsbürgertum auf starke, ideologisch begründete Ablehnung.31 Dabei wurde
besonders die Aufhebung der natürlichen Klassengrenzen als Skandal empfunden. So warnte
Unterstaatssekretär Friedrich Bassermann in einer Rede, die auch mit einem Flugblatt Verbreitung
fand, vor der Einführung eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts, wie es die Demokraten
in Baden forderten.32 Bassermann beschrieb als Vertreter des liberalen Bürgertums
- er entstammte einer reichen liberalen Kaufmannsfamilie in Mannheim33 - in dieser Rede die
Gefahr, die von einem allgemeinen Stimmrecht ausgehen würde und verwies auf die Republik
Frankreich, wo Arbeiter während des so genannten Juni-Aufstandes nach der Schließung der
unrentablen Nationalwerkstätten revoltierten. Rhetorisch geschickt verwies er auf das Gegenbeispiel
Belgien, um seine Aussagen zu unterstreichen:
//; Belgien gilt ein Census, und die Arbeiter haben kein Stimmrecht, und trotz, dieser Beschränkung, trotz,
dem, daß in diesem Lande viele Hundert-Tausende von Arbeitern leben, dieses Land hart an Frankreich
grenz,t, ist es bei dem Losbruch der französischen Arbeiter im Februar vollkommen ruhig geblieben, und es
ist der Stolz, der Belgier, daß sie ruhig bleiben konnten, während dort, wo man Ihr Beruhigungsmittel [gemeint
ist das allgemeine Wahlrecht] angewendet, die größte Umwälzung hervorgebracht worden [sic!].M
Im Vergleich zwischen der Situation in Frankreich und der in Belgien kam Bassermann zu folgendem
Schluss:
Meine Herren! Wenn sie das Wahlrecht an irgend einen Besitz, und sei er ein kleiner nur. binden, dann
erst werden Sie am besten beruhigend auf die Arbeiterklassen wirken, indem diese dann, wenn sie wirklich
einen Werth auf ein politisches Recht legen, durch Fleiß und Thätigkeit einen Besitz, zu erlangen su-
„besseren Bürger" aus den Volksvereinen zurück, wenn ein Handwerker im Vorstand zu Einfluss kam, oder es
wurden Beitragssätze festgesetzt, die von einem beitrittswilligen Arbeiter kaum aufzubringen waren. Deuchert
(wie Anm. 4). S. 297.
» Ebd.. S. 294 ff.
*> StadtAF. Dvd 7680 RARA. Teil 1. Blatt 235.
31 Vergleiche die Flugschriften der Vaterländischen Vereine, ebd.. Blatt 166, 182 und 195. Die Vorwürfe waren
insofern unbegründet, als dass sich die Radikalen von der Idee des Kommunismus und vom Sozialismus distanziert
hatten. Vgl. dazu die Aussagen von Wilhelm Schulz oder Gottlieb Christian Abt. Gottlieb Christian
Abt: Eudämonismus. In: Staats-Lexicon oder Enzyklopädie der Staatswissenschaften. Bd. 3. Hg. von Carl von
Rotteck und Carl Theodor Welcker. Altona 1846, S. 525. Bereits im Vormärz hatten sie sich von jeglichen
kollektivistischen Vorstellungen abgegrenzt und bekannten sich seither prinzipiell für die Erhaltung des Privateigentums
. Deuchert (wie Anm. 4), S. 296.
« StadtAF, Dvd 7680 RARA, Teil 1, Blätter 180 f.
33 Die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49. Ein Handlexikon der Abgeordneten der deutschen verfassungsgebenden
Reichs-Versammlung. Hg. von Rainer Koch. Frankfurt a. M. 1989, S. 75.
34 StadtAF, Dvd 7680 RARA, Teil 1, Blätter 180 f.
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