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Dieses Flugblatt beschäftigte sich hauptsächlich mit der politischen Situation Preußens. So bezog
es sich auf die Verhängung des Belagerungszustandes und die gewaltsame Auflösung der
Nationalversammlung durch Friedrich Heinrich Ernst Graf von Wrangel, auf die durch Friedrich
Wilhelm IV. aufgezwungene Verfassung und auf den Waffenstillstand von Malmö. Erst im
letzten Vers kam das Spottlied auf die eventuelle Wahl Friedrich Wilhelms IV. zum deutschen
Kaiser zu sprechen und warnte vor seiner Knechtschaft, die mit Beispielen in den vorhergehenden
Versen dargestellt wurde.
4.3.3. Die Wahlrechtsfrage
Neben der Frage nach der Person des Staatsoberhauptes und den Auseinandersetzungen um
die groß- oder kleindeutsche Lösung löste die Wahlrechtsfrage in der Nationalversammlung
heftige Diskussionen aus. Sie waren geprägt durch das unterschiedliche Standesbewusstsein
bei Liberalen und Demokraten. Die Liberalen traten für eine Beschränkung des Wahlrechtes
ein, um einen sozialen Umsturz zu verhindern und der Mittelklasse den überwiegenden Ein-
fluss im Staat zu sichern. Dabei gingen sie von der Annahme aus, dass sich der Mittelstand
durch soziale Reformen erheblich verbreitern und auf einen großen Teil der Bevölkerung ausdehnen
ließe. Die Demokraten hingegen forderten das allgemeine und gleiche Wahlrecht, weil
sie überzeugt waren, dass sich dadurch die unteren Schichten in die bürgerliche Gesellschaftsund
Staatsordnung integrieren ließen. Der Verfassungsausschuss, welcher von den Liberalen
dominiert wurde, legte einen Wahlgesetzentwurf vor, der zwar ein direktes Wahlverfahren,
jedoch einschneidende Stimmrechtsbeschränkungen vorsah. So durften etwa Handwerkergesellen
, Fabrikarbeiter, Tagelöhner und Dienstboten nicht wählen. Es zeigte sich jedoch, dass
dieser Vorschlag in der Nationalversammlung keine Chance hatte. Die Vorlage wurde mit
großer Mehrheit bei einem Stimmenverhältnis von 422 zu 21 abgelehnt. Angenommen wurde
gegen den Widerstand der Liberalen das allgemeine und direkte Wahlrecht.69
Die Diskussion um die Form des Wahlrechts spiegelte sich auch in den Flugschriften wider,
wenngleich auch weniger als andere politische Themen. Als Argument gegen das allgemeine
Wahlrecht wurde oftmals die Gefahr von sozialen Unruhen angeführt. So verwies etwa Bassermann
in seiner bereits erwähnten auf einem Flugblatt abgedruckten Rede70 auf das Negativbeispiel
Frankreich, wo ein allgemeines Wahlrecht herrschte und es im Juni 1848 wegen der
Schließung der National Werkstätten zu Arbeiteraufständen gekommen war. Um seine Aussage
zu unterstreichen führte Bassermann Belgien als positives Gegenbeispiel an, in welchem es ein
Zensuswahlrecht gab, und wo es, trotz der gemeinsamen Grenze zu Frankreich ruhig geblieben
war. Ganz anderer Meinung war das demokratische Central-Comite. Bereits vor der Bildung
der Nationalversammlung veröffentlichte es ein Flugblatt, das die Abschaffung aller Vorrechte
, welchen Namen dieselben tragen mögen, insbesondere des Adels, der Privilegien des
Reichthums (Census) und der bevorzugten Gerichtsstände, und die Ersetzung derselben durch
ein allgemeines Staatsbürgerrecht enthielt.71
Die Diskussionen um das Wahlrecht fanden nicht nur während des Prozesses der Verfassungsgestaltung
statt, sondern auch noch nach der Annahme der Verfassung durch die Nationalversammlung
, als es um die Anerkennung der Verfassung durch die einzelnen Länder ging.
Das Flugblatt des provisorischen Landesausschusses der Volksvereine vom 23. April 1849 bezog
sich auf den Wahlrechtsentwurf, den das badische Ministerium den Kammermitgliedern
vorgelegt hatte, und kritisierte ihn unter anderem wegen des passiven Wahlrechts in die Erste
Kammer, das vom Einkommen abhängig sein sollte:
w Hein (wie Anm. 57), S. 115 f.
™ Vgl. StadtAF, Dvd 7680 RARA, Teil 1, Blätter 180 f.
7' Ebd.. Blatt 44.
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