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Zwischen 1961 und 1975 wuchs die Zahl der jährlichen Assessorenprüfungen von 61 auf
208.144 Da sich jeweils zwei Referendarkurse überlappten, war die tatsächliche Zahl der vom
Studienseminar betreuten Referendare jedoch deutlich höher. Mit 337 Referendaren145 überstieg
sie im Schuljahr 1970/71 erstmals die 300er-Grenze und kam damit auf ein Niveau, das
damals viele Fachhochschulen nicht erreichten. Um die Ausbildungsschulen zu entlasten, hatte
das Ministerium bereits 1962 das vorgeschriebene Gymnasialpraktikum für die Lehramtsstudenten
gestrichen.146
Der Lehrerbedarf stieg freilich seit den 1960er-Jahren schneller an als die Zahl der ausgebildeten
Referendare.147 So sah sich das Ministerium seit 1965 gezwungen, den Vorbereitungsdienst
auf vier Tertiale zu reduzieren.148 Im Jahre 1967 verlegte es zudem die Assessorenprüfung
an den Anfang des 4. Ausbildungstertials und übertrug den Referendaren unmittelbar
nach der Prüfung ein Deputat von 16 Stunden selbständigen Unterrichts.149 Gleichzeitig bewegte
sich beim Examen die Durchfaliquote in Richtung null150 - häufig aufgrund massiven
Drucks seitens der Prüfungsämter.151 Die Ausbildungsordnung von 1976 reduzierte schließlich
die Ausbildungsdauer generell auf 18 Monate152 und beauftragte das Kultusministerium erstmals
mit der zentralen Verteilung der Referendare auf alle Seminare des Landes, um deren
gleichmäßige Auslastung zu sichern.153
In dem beschriebenen Zeitraum traten zum ersten Mal in der Seminargeschichte die Referendare
deutlicher in Erscheinung. Wie so vieles andere erschütterte das Epochenjahr 1968
auch das Freiburger Studienseminar. Es provozierte in der Folge endlose Diskussionen über
die gesellschaftspolitische Rolle von Seminar und Schule oder über neue Gestaltungsmodelle
von Schule und Unterricht. Vielfach waren die Referendare - weniger ihre Fachleiter - die Vorkämpfer
des gleichzeitigen pädagogischen Paradigmenwechsels und damit die Propagatoren
eines neuartigen Ensembles fachwissenschaftlicher Standardliteratur, darunter die Werke von
Bruner, Ausubel, Bloom, Correll, aber auch von Bernfeld und Makarenko. Die gleichzeitigen
Forderungen nach Mitbestimmung154 führten schließlich 1977 zur Gründung von Ausbil-
144 Statistische Unterlage: Ergebnisse der pädagogischen Prüfung am Studienseminar Freiburg. In: AStF, Akte II:
Status.
145 Aufstellung im Schuljahr 1970/71, 2. Tertial. In: AStF, Akte I: Kooperation. Bedauerlicherweise enthalten die
Freiburger Seminarakten keine fortlaufenden Referendarverzeichnisse. Und die vom Kultusministerium geführten
Freiburger Seminarakten wurden in den 198üer-Jahren nach Überstellung an das HStAS wegen angeblich
fehlender übergeordneter Bedeutung vernichtet.
146 Rundschreiben des Kultusministeriums vom 21.2.1962. In: AStF, Akte II: Status. Das Pflichtpraktikum an einer
Volksschule wurde schließlich durch die Wissenschaftliche Prüfungsordnung vom 6.6.1966 aufgehoben,
vgl. Kultus und Unterricht 1966, S. 608.
147 Zu Beginn des Schuljahres 1967/68 sollen allein in Südbaden 110 Lehrer gefehlt haben, vgl. Aufzeichnungen
Dr. Kaspars vom 11.7.1967. In: AStF, Akte I: Didaktisches Zentrum. Vgl. im übrigen den Überblick über die
Referendarentwicklung in Baden-Württemberg bei Frommer (wie Anm. 42), S. 108-118.
148 Rundschreiben des Kultusministeriums vom 22.12.1964. In: AStF, Akte I: Didaktisches Zentrum. 1968 verlängerte
das Ministerium diese Verfügung um weitere fünf Jahre, vgl. Verordnung über den Vorbereitungsdienst
und die pädagogische Prüfung für das Lehramt an Gymnasien vom 26.7.1967. In: Kultus und Unterricht 1967,
S. 919, sowie 1973 um weitere drei Jahre, vgl. Rundschreiben von Beilhardt vom 14.1.1972. In: AStF, Akte II:
Status
149 Rundschreiben des Oberschulamtes Südbaden an die Schulleitungen vom 15.11.1967. In: AStF, Akte I: Didaktisches
Zentrum. Von Zeitzeugen wird zudem berichtet, dass besonders Kandidaten naturwissenschaftlicher
Fächer häufig nach dem 1. Examen gebeten wurden, ein Unterrichtsdeputat an Schulen zu übernehmen und die
Assessorenprüfung später nach einem verkürzten Referendariat nachzuholen.
150 Wie Anm. 144.
151 Vgl. dazu auch Frommer (wie Anm. 42), S. 54.
152 Erneut auf zwei Jahre erhöht in der Verordnung über den Vorbereitungsdienst und die Zweite Staatsprüfung für
die Laufbahn des höheren Schuldienstes an Gymnasien vom 31.8.1984. In: Kultus und Unterricht 1984, S. 524.
153 Verordnung über den Vorbereitungsdienst und die pädagogische Prüfung für das Lehramt an Gymnasien vom
14.6.1976. In: Kultus und Unterricht 1976, S. 1586f.
154 Vgl. dazu die unterschiedlichen Entwürfe und Forderungen. In: AStF, Akte III: Innere Organisation.
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