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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
124.2005
Seite: 206
(PDF, 48 MB)
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stand überschriebenen Spiegel-Bericht wird der Bauplatz deshalb als Jahrmarkt des gewaltlosen
Widerstands, mit Restaurationsbetrieb bezeichnet. Auch wenn die Besetzerzeitung den
Artikel als Unverschämtheit abtun wollte, hatte die Platzbesetzung ohne Zweifel Züge eines
Volksfestes (sozusagen Event-Charakter).11 Ebenso dürfte es unumstritten sein, dass es Spannungen
zwischen den Besetzern und den Bürgerinitiativen gab, auch wenn entsprechende
Äußerungen immer zurückgewiesen wurden. Wolfgang Sternstein, als Aktionsforscher in Wyhl
aktiv, schreibt dazu:

Hatte nicht Ministerpräsident Filbinger ... erklärt, bei der Platzbesetzung handle es sich um eine bundesweit
gesteuerte linksextremistische Drahtzieheraktion? ... Tatsächlich versuchten alle möglichen Splittergruppen
auf dem von den Bürgerinitiativen entzündeten Feuer zu kochen ... Zwischen den zahlreichen
Gruppierungen und Fraktionen in den badisch-elsässischen Bürgerinitiativen herrschte ein spannungsreiches
, instabiles Gleichgewicht.^2

Solche Probleme dürften eine wesentliche Rolle gespielt haben, als mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden
im Landtag, Lothar Späth, für die Dauer weiterer Verhandlungen die Räumung
zum 7. November vereinbart wurde. Ende Januar 1976 einigten sich die Verhandlungsdelegationen
auf die Offenburger Vereinbarung, die einen vorläufigen Baustopp, die Zusage
weiterer Gutachten und die Rücknahme der Strafverfahren und Schadensersatzklagen beinhaltete
. Erst nach heftigen Kontroversen wurde die Vereinbarung angenommen. Die Auseinandersetzung
verschob sich nun auf die juristische Ebene. Zu einem neuen Schwerpunkt der
Bürgerinitiativen wurde das KKW Fessenheim; die nun im öffentlichen Interesse stehenden
atomaren Projekte in Brokdorf, Grohnde oder Malville wurden engagiert begleitet. Schon im
März 1975 hatte das Verwaltungsgericht Freiburg im Sofortverfahren einen Baustopp in Wyhl
angeordnet, der Anfang Oktober vom Mannheimer Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wurde.
Anfang 1977 fand in Herbolzheim das Hauptverfahren des Verwaltungsgerichts statt. Das Gericht
untersagte den Bau wegen eines fehlenden Berstschutzes. 1982 erklärte der Mannheimer
Verwaltungsgerichtshof die Teilerrichtungsgenehmigung jedoch für rechtens. In Wyhl fand
daraufhin am 4. April 1982 eine Großkundgebung mit über 30.000 AKW-Gegnern statt. Überraschend
erklärte Späth - inzwischen Ministerpräsident - am 5. Oktober 1983, das Wyhler
Kraftwerk sei vor 1993 nicht nötig. 1987 bekräftigte er den Verzicht auf weitere AKWs bis
zum Jahr 2000. Seit 1995 ist der Bauplatz - kein Dramaturg könnte den Schlusspunkt treffender
setzen - als Naturschutzgebiet ausgewiesen.

Allein die Kontinuität des Protests gegen die Kernkraftwerke Breisach und Wyhl wie auch
die Vernetzung mit den Projekten in Fessenheim und Markolsheim spricht dafür, dass das Anliegen
der Beteiligten über die Verhinderung eines Einzelprojekts hinausging. Kein KKW in
Wyhl und auch nicht anderswo lautete bald die Parole, die vielleicht nicht von jedem geteilt
wurde, aber dennoch die Wahrnehmung prägte. Der Protest wurde als Widerstand gegen das
ganze Atomprogramm verstanden und mit Fragen der Energieplanung, des Wirtschaftswachstums
und des Demokratieverständnisses verknüpft. Die Ereignisse in und um Wyhl hatten Signalwirkung
für andere Standorte. Am 1. April 1975 wurde der Bauplatz in Kaiseraugst bei Basel
für mehrere Monate besetzt.13 Im Dezember kündigten die örtlichen Bürgerinitiativen in

zer wehren sich gegen Mißbrauch ihrer Aktion. In: Badische Zeitung vom 3.3.1975; Niklas Arnegger: Nach
heißen Tagen kühler. In Wyhl wird auch nur mit Wasser gekocht. In: Badische Zeitung vom 7.8.1975.

11 Siehe Peter Brügge: Waldeslust und Widerstand. In: Der Spiegel 30, 1975, S. 41 ff. In der Besetzerzeitung:
,Spiegel'-Bilder vom Platz. Eine Gegendarstellung. In: Was wir wollen. Besetzerzeitung von der Bewegung für
die Bewegung 9, 1975, vom 28.7.75, S. 1 lff.

12 Wolfgang Sternstein: Der Alltag des Widerstands. Probleme einer langandauernden Platzbesetzung. In: Ökologiebewegung
und ziviler Widerstand. Wyhler Erfahrungen. Hg. von Theodor Ebert u.a. Stuttgart 1978, S. 34-
50, hier S. 45.

13 Zum Konflikt in Kaiseraugst vgl. Patrick Kupper: Atomenergie und gespaltene Gesellschaft: Die Geschichte
des gescheiterten Projektes Kernkraftwerk Kaiseraugst. Zürich 2003.

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