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zigen erst dann des Hauses verwiesen, wenn sie mehrfach straffällig geworden waren, oder der
sexuelle Verkehr der Aussätzigen war derart häufig, dass man von der Strafe des Pfründverlusts
absehen musste, um nicht zu viele Insassen ausweisen zu müssen.
Ob die Paragraphen der Ergänzungsbestimmungen, die die Gewaltvergehen und Unsittlich-
keit betrafen, aus aktuellem Anlass entstanden oder rein prophylaktisch waren, bleibt Spekulation
. Dass es innerhalb einer Zwangsgemeinschaft zu Streitigkeiten kommen kann, die auch
in handgreifliche Auseinandersetzungen ausarten können, steht außer Frage. Aber die genaue
Differenzierung der Vergehen nach ihrem Schweregrad lässt vermuten, dass sich derartige Fälle
im Freiburger Gutleuthaus tatsächlich ereignet haben.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Strafgewalt vor allem bei dem Meister des
Gutleuthauses, aber auch bei den Pflegern lag. Bei schwereren Vergehen wurde die Sache vor
den städtischen Rat gebracht. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass auch innerhalb der Bruderschaft
der Leprosen in einer Art Konvents versammlung Recht gesprochen wurde. Diese Tatsache
spricht für die Lebensform der Leprosen nach monastischem Vorbild. Das Ausmaß der
Strafen reicht von Geld- oder Wachszahlungen bis hin zu komplettem Pfründverlust. Nach den
Angaben von Ingrid Lincke gab es sogar ein „Loch", in das der Gutleutmeister straffällig gewordene
Personen einsperrte.145
Zusammenfassung
Wie die Ausführungen zeigen, lebten die Aussätzigen im Freiburger Gutleuthaus in einer Gemeinschaft
aus Brüdern und Schwestern. Ihr Tagesablauf war durch Gebete und das Sammeln
von Almosen gekennzeichnet. Pfründverträge von Personen, die nicht an Lepra litten, beweisen
, dass das Gutleuthaus nicht pauschal als Hort des Elends angesehen werden kann. Offenbar
waren dort die Lebensbedingungen immerhin so angenehm, dass man sich zur Altersversorgung
einkaufen mochte. Anita Homolka bezeichnet die Lebensgewohnheiten der Leprakranken
sogar als „zuweilen exzessiv". Sie geht davon aus, dass die Aussätzigen des Spätmittelalters
ein üppigeres Leben führten als die übrige Bevölkerung und andere Kranke. Denn sie
genossen eine soziale Versorgung, die gewöhnlichen verarmten Menschen abging, wie etwa
Obdach, ausreichende Nahrung, Kleidung, die Möglichkeit zu baden und finanzielle Zuwendung
. Scheinbar waren die Lebensbedingungen in den Siechenhäusern teilweise so attraktiv,
dass Betrüger - obwohl sie keinen Aussatz hatten - immer wieder versucht haben, Aufnahme
in einer derartigen Einrichtung zu finden. Homolka berichtet von einem Fall aus Köln, in dem
gefälschte Lepraschaubriefe an Gesunde verkauft wurden.146
Trotz der relativ komfortablen Lebensweise darf nicht vergessen werden, was die Lepra für
die Betroffenen bedeutete. Die Symptome und die furchtbare Prognose des körperlichen Zerfalls
stellten sicher eine unglaubliche Belastung für die Aussätzigen dar. Aussicht auf Heilung
bestand kaum. Es war daher ein hartes Schicksal, aus dem gewohnten Leben herausgerissen zu
werden und getrennt von den Menschen, die einem nahe stehen, vor den Toren der Stadt leben
zu müssen.
146 Lincke (wie Anm. 16), S. 79.
147 Anita Homolka: Die Lebensgewohnheiten der Leprakranken im Spätmittelalter. In: Aussatz - Lepra - Hansen-
Krankheit. Ein Menschheitsproblem im Wandel. Teil 2. Aufsätze. Hg. von Jörn Henning Wolf. Würzburg 1986,
S. 151-161, hier S. 152 und 158.
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