http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2006/0095
und nach, die kleberigen Theile des Saftes werden von dem Thaue aufgelöset und die Fäulung der Säfte
geschieht unvermerkt bis in das innerste Gewebe der nach der Länge laufenden Fasern. Eben dieses Verfahren
wiederhohlt man täglich; und bey warmen Wetter sind 8 Tage hinlänglich, den Hanf vollkommen
zu rösten, welches man daran erkennt, wenn der Hanf überall verfault aussieht."98
Bei trockenem Wetter konnte dieses Verfahren durchaus bis zu drei Wochen in Anspruch
nehmen." Die Tauröste, bei der die späteren Fasern zwar eine im Handel oftmals nur schlecht
gängige, gräuliche Farbe bekamen, allerdings auch die feinste Qualität erhielten, wurde weniger
in den Haupthanfbaugebieten am Oberrhein als vielmehr in solchen Gegenden angewendet
, „wo der Hanf nicht lang aber fein wächst und wo gute Gelegenheiten zur Wasserröste fehlen
."100 Bekannt für die feine Qualität seines durch die Tauröste gegangenen, schwarzen Spinnoder
Brechhanfs war das Amt Euenheim.101
Bei der Wasserröste dagegen wurden die in Bündeln zusammengefassten Hanfstängel
schichtweise im Wasser übereinander gelegt, gegen Verschlammung mit Stroh bedeckt und mit
starken Brettern oder Balken und darauf gelegten, großen Steinen beschwert, damit sie vollständig
unter Wasser gedrückt wurden. Dies konnte in natürlichen Gewässern oder in extra angelegten
Becken oder Gruben, den Hanfrötzen oder -reesen geschehen. Über die Dauer des nun
einsetzenden Faulungsprozesses kursieren verschiedene Angaben: Der auch in dieser Frage
sehr differenzierte Artikel der „Encyclopedie" und Krünitz verweisen darauf, dass die Röstzeit
von verschiedenen Faktoren abhänge: von der Qualität des Wassers - die Röste verläuft schneller
in stehendem als in fließendem Wasser und besser in modrigem oder fauligem als in klarem
Wasser -, von der Luft- und damit auch der Wassertemperatur - bei Hitze ist die Röste
schneller beendet als bei kühlem Wetter -, schließlich von der Qualität des Hanfs selbst - solcher
, der auf lockerem Boden und ohne Mangel an Wasser gediehen ist und zudem in noch
leicht grünem Zustand geerntet wurde, benötigt weniger Zeit zum Rösten als derjenige, welcher
auf schwerem und trockenem Boden gewachsen ist und den man bis zur Vollreife stehen
gelassen hatte. Insgesamt, so das Resümee der „Encyclopedie", wird die Qualität der Hanffasern
umso besser, je kürzer die Hanfstängel der Wasserröste ausgesetzt werden. Deshalb
werde, wenn der Herbst kühl sei und daher das Rösten des Hanfs mehr Zeit benötige sowie das
anschließende Trocknen der Stängel schwierig sei, oft auch erst im folgenden Frühjahr geröstet
.102 Das Rösten der Hanfstängel in stehendem, modrigem Wasser war allerdings eine zweischneidige
Angelegenheit, wie Krünitz bemerkt:
„Die Fasern von Hanfe, der in faulem, stinkenden Wasser gelegen hatte, [sind zwar] weicher als von an-
derm, der im fließenden Wasser eingeweicht war. Nur bekommt der Hanf, wenn er nicht in laufendem
Wasser gelegen hat, eine unangenehme Farbe. Dieses benimmt nun zwar der Güte des Hanfes nicht das
geringste: denn ein auf solche Weise gerösteter Hanf läßt sich hernach desto leichter bleichen: indessen
will doch dergleichen Farbe den Leuten nicht gefallen, und er läßt sich schwer an den Mann bringen [wenn
das Fasermaterial ungebleicht, als Zwischenprodukt, weiterverkauft werden sollte]. Daher ist man allemahl
darauf bedacht, wo möglich, ein Bächlein durch die Hanfröste laufen zu lassen, damit anderes Wasser
in solche Plätze komme und kein Wasser stinkend werde."103
Angesichts der immensen Bedeutung des Hanfs als Faserlieferant wandte sich die im Zeichen
der Aufklärung gerade auch praktischen Aspekten verpflichtete Wissenschaft allen mit
dem Anbau des Hanfs und der Fasergewinnung verbundenen Fragen zu. So erscheint es nur
folgerichtig, dass im 18. Jahrhundert die verschiedenen Verfahren der Wasserröste unter Fach-
98 Krünitz (wie Anm. 7), S. 790.
99 Löbe (wie Anm. 31), S. 58; Meyers Konversations-Lexikon (wie Anm. 89), S. 121, spricht sogar von vier bis
sechs Wochen.
100 Der Hanfbau (wie Anm. 31), S. 10.
101 VoGELMAiNN (wie Anm. 31), S. 13, 23 und 37.
102 Encyclopedie (wie Anm. 8), S. 149.
103 Krünitz (wie Anm. 7), S. 786f. Diese Passage ist eine nahezu wörtliche Übersetzung aus der Encyclopedie (wie
Anm. 8), S. 149.
95
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2006/0095