http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2006/0190
Frau S. erzählt, daß sie meist am Abend die Wäsche reinigt und über Nacht trocknet, damit sie
am anderen Tag wieder gebrauchsfertig ist.13
Die Organisation des Mangels, die Beschaffung von Nahrung, Kleidung und Heizmaterial,
brachte viele Frauen an die Grenzen ihrer Kräfte (Abb. 3 und 4). Die Unterernährung sowie die
großen physischen und psychischen Belastungen erhöhten das Krankheitsrisiko erheblich.
Frauen waren nicht nur von der Zunahme der Infektionskrankheiten wie z.B. der Tuberkulose,
des Parasitenbefalls und der Hungerödeme betroffen, sondern litten zudem zunehmend unter
den so genannten Frauenleiden, Stillschwierigkeiten und Fehlgeburten. Viele Frauen wollten in
dieser Notlage aber auch keine Kinder zur Welt bringen. Es war eine steigende Zahl von Abtreibungen
zu verzeichnen. Ein eindringliches Bild von der Situation der hungernden Freiburger
Bevölkerung gibt ein Brief des „Katholischen Frauenbundes" an den Stadtrat aus dem Jahr
1947: Mit größter Sorge beobachten wir Frauen und Mütter Freiburgs seit längerer Zeit, wie
der Gesundheitszustand der Bevölkerung, besonders der Kinder und alten Leute, durch die
lang dauernde Mangelernährung auf das Schwerste leidet. Unserem Blick begegnet manches
Elend, das vor den Augen der Behörden verborgen bleibt. Es erschüttert uns immer wieder,
wenn wir beobachten, wie hungrige Menschen die Mülleimer auf der Straße nach Essbarem
durchwühlen ... Wir wissen von vielen Menschen, die sich nur aufrecht halten können, indem
sie Stunden oder Tage zu Bette liegen, um neue Kräfte zu sammeln. Viele Mütter müssen ohnmächtig
zusehen, wie ihre Säuglinge dahinsterben ... Wir Frauen scheuen keine Mühe und setzen
unsere Kräfte bis zur Erschöpfung ein, um das wenige, das zur Verfügung steht, nutzbringend
einzuteilen und zu verwerten}4
Mit der Gleichstellung der Hausarbeit gegenüber der außerhäuslichen Erwerbsarbeit in der
Badischen Verfassung (Art. 21) wurden die immensen Leistungen der Hausfrauen im Nachkriegsalltag
anerkannt und gewürdigt.
„Natürliche Ordnung" versus Gleichberechtigung - Die rechtliche Stellung
Die Frauenvereine gingen davon aus, dass auch das Grundgesetz der veränderten Situation
Rechnung trage und Frauen die gleichen Rechte wie Männern zugestehe. Die Sozialdemokratin
Dr. Elisabeth Seibert, eine der vier „Mütter des Grundgesetzes", beantragte daher die uneingeschränkte
Gleichberechtigung der Geschlechter. In der Weimarer Reichsverfassung (Art.
109) war den Frauen nämlich nur grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und
Pflichten zugestanden worden. Die tarif- und familienrechtliche Ungleichheit der Frauen blieb
bestehen. Und selbst ihre politische Gleichstellung war eingeschränkt, denn durch das Wort
„grundsätzlich" wurde der Gleichberechtigungsgrundsatz verwässert, geriet zum elastischen
Gummiparagraphen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen plädierte Seibert für die Formulierung
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Sie hatte bereits in der eigenen Fraktion
Schwierigkeiten, diesen Antrag durchzusetzen. Auch im Hauptausschuss des Parlamentarischen
Rates fiel der Antrag zunächst durch und wurde erst nach massiven öffentlichen Protesten
von Gewerkschafterinnen und Frauenverbänden angenommen. Nicht Einsicht, sondern
wahltaktische Überlegungen - Frauen stellten den größeren Teil der Wählerschaft - bewirkten
ein Einlenken.
Bis zum Jahr 1953 sollte das Parlament alle dem Gleichberechtigungsgebot widersprechenden
Regelungen an die neue Rechtslage anpassen. Die Reform des Familienrechts des BGBs.
in dem zentrale Vorrechte des Ehemanns und Vaters verankert waren, war nur in langwierigen
Verhandlungen gegen massive Widerstände durchzusetzen. Aufgrund der Vorbehalte der Kirchen
und konservativer Kreise, die von der „natürlichen Verschiedenheit der Geschlechter"
13 Zitiert nach: Neisen (wie Anm. 5), S. 65.
14 StadtAF, B5 XHIa Nr. 594, Anlage 1 zum Sitzungsprotokoll des Stadtrates vom 11. Februar 1947.
190
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2006/0190