Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
125.2006
Seite: 211
(PDF, 44 MB)
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Stadtteilen zugewiesen; andere flohen in den Schwarzwald oder zogen zu Verwandten oder Bekannten.
Auch weit entfernte Zufluchtsorte wie Frankfurt sind dokumentiert. Bei der Befragung von Zeitzeugen
konnten sich die Schüler gut entfalten. Teils zogen sie mit einem Audio-Rekorder in Privatwohnungen
zum Interview, teils luden sie Auskunftswillige in die Schule ein, um Bild- und Tonaufnahmen zu machen.
Besonders eindrücklich berichtete ein Mann Jahrgang 1929, der im Herbst 1944 zum Volkssturm eingezogen
worden war. Er hatte den Angriff in der Freiburger Innenstadt erlebt. Als er in Betzenhausen ankam
, war sein Elternhaus eine brennende Ruine.

Unter dem Stichwort „oral history" findet sich ein unerwarteter und origineller Beitrag: das Interview
mit einem irakischen Ingenieur, der im Golfkrieg 1991 die Bombardierung der Stadt Mossul erlebt hatte
- eine eindringliche Erinnerung daran, dass es immer noch Bombenkriege gibt. Der Friedensappell von
Papst Johann Paul II. zum Irakkrieg 2003 wird zitiert. Das Projekt erhebt zurecht den Anspruch, zur Friedenserziehung
beizutragen, was die Schulleiterin der Wentzinger-Realschule Christine Sturm 2004 im
Vorwort „mit Stolz auf ihre Schülerrinnen und Schüler" betonte. Im Übrigen ist es hier gelungen, ein Stück
Lokalgeschichte lebendig zu machen. Renate Liessem-Breinlinger

Olga Hempel: Immer ein bißchen revolutionär. Lebenserinnerungen einer der ersten Ärztinnen in
Deutschland 1869-1954. Hg. von Irene Gabriele Gill und Erhard Roy Wiehn. Hartung-Gorre Verlag,
Konstanz 2005. 156 S., 9 S/W-Abb.

Der Untertitel scheint, wenn man diesen abenteuerlichen Lebensbericht Revue passieren lässt, reichlich
untertrieben, denn er verweist nur auf zwei Stationen in einem äußerst bewegten Leben: Olga Hempel,
geb. Fajans, nämlich hat schon vor ihrem Studium ein Jahr als Gouvernante in Großbritannien verbracht
und sich anschließend das damals für Mädchen völlig unübliche Abitur ertrotzt, das ihr 1897 den Zugang
zur medizinischen Fakultät der Freiburger Universität ermöglichen sollte - fast drei Jahre, bevor das
Großherzogtum Baden als erstes deutsches Land überhaupt das Frauenstudium zuließ.

Nach dem Physikum wechselte sie nach Heidelberg und nach Breslau, legte dort 1902 mit großem
Erfolg ihr Staatsexamen ab und heiratete anschließend ihren früheren Kommilitonen Hugo Hempel. Das
Paar zog nach München, wo Hugo Hempel eine Karriere als HNO-Spezialist ansteuerte, während Olga
ihre erste Stelle als Assistentin in einem Kinderhospital antrat, dort jedoch nach wenigen Monaten wieder
ausschied, weil sie schwanger wurde. Ihre Karriere als Ärztin schien damit beendet. Nach einer weiteren
Zwischenstation in Marburg eröffnete Hugo Hempel schließlich in Berlin eine schnell prosperierende
Praxis, der sich die gesamte, inzwischen fünfköpfige Familie unterordnen musste. Doch es gelang
Olga, sich ihre eigenen Freiräume zu schaffen: Zunächst arbeitete sie halbtags in einer Poliklinik, später
eröffnete sie eine eigene Praxis im nahen Ferch am Schwielowsee bei Potsdam, wo sich die Familie ein
Landhäuschen zugelegt hatte. Die Praxis betrieb sie zwar nur am Wochenende, doch mit einfachsten Mitteln
konnte sie die Bevölkerung sogar chirurgisch versorgen und genoss schon bald einen hervorragenden
Ruf als Landärztin.

Der Erste Weltkrieg brachte eine dramatische Wendung: Hugo Hempel, der noch im August 1914 eingezogen
worden war, kehrte nicht nur mit stark veränderter Persönlichkeit, sondern auch als radikaler
Antisemit zurück - unerträglich für seine Frau, die aus einer jüdischen Familie stammte. Fortan schikanierte
er sie ebenso wie die Kinder. Im Herbst 1919 packte Olga Hempel deshalb die Koffer und verließ
Berlin in Richtung Freiburg. Dort war es für eine allein stehende Frau mit drei Kindern nahezu unmöglich
, eine Wohnung, geschweige denn eine Arbeit zu finden. Schließlich kamen sie in der „Erwinshöhe",
einer Dachwohnung in der Erwinstraße unter. Um überleben zu können, gab sie Unterrichtsstunden, tippte
nächtelang Adressen und fertigte Übersetzungen an. Erst nach drei Jahren fand sie eine feste Anstellung
bei dem pharmazeutischen Unternehmen Rosenberg, wo sie zunächst die Bibliothek, später die Registratur
betreute - ihren Beruf als Ärztin sollte sie jedoch nie wieder ausüben.

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten zog der Firmeneigner Hugo Rosenberg nach
Basel und vertraute den Betrieb seinem „arischen" Prokuristen an, bis die braunen Machthaber 1938 den
Verkauf erzwangen. Der neue Besitzer entließ neben vielen anderen Angestellten auch die fast 69-jährige
Olga Hempel, sagte ihr jedoch die Bezahlung ihres Gehaltes für weitere sechs Monate zu.

Olga Hempel, die persönlich seit 1933 nur wenige Anfeindungen hatte erdulden müssen und diese stets
mit der ihr eigenen Courage hatte abblocken können, scheint den Nationalsozialismus nie als persönliche
Bedrohung empfunden zu haben, obgleich ihre beiden Töchter nebst Familien längst im Exil lebten. Für
sich selbst kannte sie keine Furcht - schließlich war sie in ihrem Leben noch mit jeder unangenehmen

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