http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0248
sich zum Sommersemester 1918 einschrieb, Anfang 1920 promoviert wurde. Das Thema ihrer
Dissertation lautete: „Die Entwicklung einer industriellen Ansiedlung vom Nebenort einer
Landgemeinde bis zur Eingemeindung in eine Großstadt".193
Nach dem erfolgreichen Studienabschluss bewarb sich Annerose Heitier um die Zulassung
zum Schuldienst als Handelsschullehrerin. Da mit der Weimarer Verfassung alle Ausnahmebestimmungen
gegen weibliche Beamte beseitigt worden waren, stand nun auch der Zugang zum
Schuldienst, der bis dahin Bewerberinnen - und zumal jüdischen Bewerberinnen - immer wieder
erschwert worden war, ungehindert offen. So konnte jetzt auch der Jüdische Frauenbund,
der sich wie die deutsche Frauenbewegung insgesamt für Frauen im Schuldienst eingesetzt
hatte, allen jungen Frauen mit qualifizierter Ausbildung den Beruf der Lehrerin uneingeschränkt
empfehlen.194 Annerose Heitier erhielt ihre Zulassung nach der vorgeschriebenen Absolvierung
eines halbjährigen Studiums an der Handelshochschule in Mannheim195 und der
Teilnahme an einem mehrmonatigen Ausbildungskurs des Unterrichtsministeriums 1923 mit
der bestandenen ersten Staatsprüfung. Anschließend unterrichtete sie bis zu ihrer Heirat Mitte
1924 an der Handelsschule in Mannheim. Anfang 1927 wurde die Ehe aus Verschulden des
Ehemannes geschieden. Annerose Heitier ging daraufhin wieder zurück in den Schuldienst. Im
Mai des Jahres übernahm sie eine Stelle als Handelsschulassessorin an der Handelsschule -
heute Robert-Schuman-Schule - in Baden-Baden, an der sie dann 1928 auch die zweite Staatsprüfung
für das höhere Lehramt bestand. Sie unterrichtete in den folgenden Jahren, wie ihr die
Schule bei ihrer Entlassung 1933 bescheinigte, in den Fächern Deutsch, Geschichte, Französisch
, Wirtschaftsbetriebslehre, Briefwechsel, Rechnen, Buchhaltung, Dekorations- und Verkaufskunde
.196
Hans Heitier trat nach dem Abitur in die Fußstapfen seines Vaters und studierte an der Technischen
Hochschule in Karlsruhe seit dem Wintersemester 1918/19 Elektrotechnik.197 Auch
hier an der Hochschule wurde Hans Heitier wieder mit antisemitischen Positionen konfrontiert,
die innerhalb der Studentenschaft breite Resonanz fanden. Der Allgemeine Studentenausschuss
nahm damals die Berufung eines jüdischen Wissenschaftlers zum Anlass, dagegen beim Senat
mit dem Hinweis zu opponieren, die Niederlage Deutschlands im Weltkrieg sei von den Juden
193 Angaben Annerose Heitiers zu Schulbesuch und Studium: StAF, F 196/1 Fasz. EF 7949, Heft 1. - Zum Studium
in Karlsruhe: Universitätsarchiv Karlsruhe, Best. 21003/115 (Mitteilung des UA Karlsruhe vom 17.1.2005). Die
Einschreibung Annerose Heitiers an der Karlsruher TH ist von K.-P. Hoepke übersehen worden, obwohl sie in
ihren Matrikeleinträgen jeweils als Religionszugehörigkeit israelitisch angegeben hat: Klaus-Peter Hoepke:
Karlsruher jüdische Studenten an der Technischen Hochschule Karlsruhe 1852-1933. In: Juden in Karlsruhe (wie
Anm. 113), S. 575-579. - Zum Studium in Heidelberg: Mitteilung des Universitätsarchivs Heidelberg vom
21.7.2003/27.1.2005: Das Promotionsdiplom findet sich dort im Bestand H-IV-757/15 fol. 31, die Promotionsakten
fehlen. Die Dissertation ist weder im Universitätsarchiv noch in der Universitätsbibliothek Heidelberg vorhanden
(Mitteilung der UB Heidelberg vom 25.1.2005).
194 Kaplan (wie Anm. 117), S. 281 f.
195 Zur Handelsschule Mannheim, die 1907 vor allem zur Ausbildung von Kaufleuten und Kandidaten des Handelslehramtes
gegründet worden war und 1933 an die Universität Heidelberg transferiert wurde, vgl. Friedrich
Walter: Schicksal einer deutschen Stadt. Geschichte Mannheims 1907-1945. 2 Bde. Frankfurt/M. 1949, hier
Bd. 1, S. 137ff. und 300f.. Bd. 2, S. 199ff. Ferner - mit eingehender Behandlung der politischen Auseinandersetzungen
in Lehrkörper und Studentenschaft in den letzten Jahren der Weimarer Republik - Reinhard Bollmus
: Handelsschule und Nationalsozialismus. Das Ende der Handelsschule Mannheim und die Vorgeschichte
der Errichtung einer Staats- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Heidelberg 1933/34
(Mannheimer Sozialwissenschaftliche Studien 8). Meisenheim am Glan 1973.
196 Die Daten zur Berufsausbildung finden sich im „Antrag auf Wiedergutmachung" und in einer „Eidesstattlichen
Erklärung" Annerose Heitiers vom 18.11.1955. StAF F 196/1 Fasz. EF7949, Heft l.-Die Direktion der Robert-
Schuman-Schule teilte dem Verfasser am 28.4.2003 mit, dass dort über Annerose Heitier keine Unterlagen mehr
vorliegen. Eine gleichlautende Feststellung findet sich bereits in den Unterlagen des Wiedergutmachungsverfahrens
. StAF, F 196/1 EF 7949, Heft 2.
197 Hoepke (wie Anm. 193), S. 577.
248
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2007/0248