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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
126.2007
Seite: 275
(PDF, 57 MB)
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Allerorten müsse man „fehlendes Schuldbewußtsein" konstatieren, so Brucher-Lembach. Dennoch ist sie
der Meinung, „dass die Restitutionsverfahren weitgehend positiv für die Opfer ausgingen" und es dadurch
in vielen Fällen zu einem Vergleich mit den neuen Besitzern kam (S. 182). Mindestens ebenso vielschichtig
stellt sich der Komplex der „Entschädigung" dar. beginnend mit der Verabschiedung des badischen
Entschädigungsgesetzes vom 10. Januar 1950. Hierunter zählten Sachverhalte wie Haftentschädigung
, Entschädigung für Schäden an Leib und Leben, Entschädigung für berufliche Einbußen oder Entschädigung
für entzogenes Eigentum und Vermögen. Bis 1950 wurden in Südbaden 7,7 Millionen DM für
die Entschädigung aufgewandt, 55 9c der Anträge wurden positiv beschieden. Mit der Schilderung zahlreicher
Beispielfälle veranschaulicht Brucher-Lembach die entwürdigenden bürokratischen Barrieren, denen
sich die Opfer bis weit nach Kriegsende ausgesetzt sahen, wenn sie sich um Entschädigungszahlungen
bemühten. In der Beantwortung der naheliegenden Frage, ob es sich bei den Entschädigungsverhandlungen
um einen „Kraftakt" der Administration oder um einen „Kleinkrieg" gegen die Opfer
handelte, will die Autorin allerdings keine eindeutige Position beziehen (S. 210-213).

In ihrer Schlussbetrachtung (S. 226-231) resümiert Andrea Brucher-Lembach, dass die „Wiedergutmachung
" einen massiven Störfaktor bei dem Versuch der deutschen Gesellschaft darstellte, nach dem Nationalsozialismus
wieder zur „Normalität" zu kommen. Die eingereichten Verfahren und Klagen der überlebenden
Jüdinnen und Juden spiegelten den Deutschen in unangenehmer Eindrücklichkeit wider, dass es
keineswegs nur die Parteibonzen oder Hauptkriegsverbrecher gewesen waren, die sich zuvor an der Vertreibung
und Vernichtung des jüdischen Bevölkerungsteils bereichert hatten. Vielmehr profitierten hier
viele Freiburger Bürger schamlos am Unglück Ihrer Mitbürger und Nachbarn. Welche spezifischen Folgen
dies für den späteren Umgang mit der NS-Vergangenheit im Freiburger Kontext hatte, wäre eine der
aus dieser Arbeit resultierenden Fragestellungen.

Andrea Brucher-Lembach gelingt es in ihrer Studie, die Auswirkungen der antijüdischen Gesetze und
Maßnahmen, aber auch die „Wiedergutmachungs"-Bürokratie immer wieder anhand konkreter Schicksale
einzelner Freiburger Juden deutlich zu machen. Ihre Darstellungsmethode erinnert insofern an die Vorgehensweise
von Saul Friedländer. Die Schilderungen dieser fast sprachlos machenden Einzelfälle gehören
in beiden Buchteilen zu den eindrücklichsten und lehrreichsten Passagen. Für die Regionalgeschichte
Neues bietet die Autorin auch durch die nähere Vorstellung wichtiger Protagonisten sowohl der „Arisierung
" als auch der „Wiedergutmachung", über die man bisher nicht allzu viel wusste oder wissen wollte.
Hier ist auf Täterseite vor allem das Wirken des Oberregierungsrats Johann Stöckinger zu nennen, der seit
Anfang 1937 als Beauftragter des badischen Finanz- und Wirtschaftsministeriums die systematische „Arisierung
" in Freiburg maßgeblich ankurbelte. Weiterhin wird näher auf Carl Domes, den von Gauleiter
Wagner bestimmten „Generalbevollmächtigten für das jüdische Vermögen" in Baden, eingegangen und
schließlich kommt die Rede auf eine Reihe skrupelloser Profiteure der „Arisierung" wie beispielsweise
den Geschäftsmann Adolf Zimber aus Bad Krozingen. Auf der anderen Seite würdigt Brucher-Lembach
das engagierte Wirken von Gerhard Heiland, der als Leiter des „Badischen Landesamts für kontrolliertes
Vermögen" alles in seiner begrenzten Macht stehende tat. um den jüdischen Opfern weiterzuhelfen. Die
Autorin hat durch die Betrachtung individueller Handlungsweisen und -Spielräume einen richtigen Weg
eingeschlagen. Hier liegt sicherlich eine weitere große Stärke des Buches, das keine Täterschutzzonen aufweist
und zudem die Äußerungen der Opfer in angemessener Weise berücksichtigt. Verdienstvoll ist diesbezüglich
auch eine Übersicht zu den betroffenen Freiburger jüdischen Firmen im Anhang.

Die vorhandenen Schwachpunkte der Arbeit finden sich deshalb kaum in der inhaltlichen Bearbeitung
und Analyse, sondern diese sind vermutlich größtenteils auf ein unsorgfältiges Lektorat oder eine oberflächliche
Schlussredaktion des Verlags zurückzuführen. Dies beginnt, um nur ein Beispiel zu nennen,
schon mit dem Buchtitel. Das dafür ausgewählte Zitat, einer Zeitzeugenaussage entnommen, wird nicht
als Zitat kenntlich gemacht und auch den Begriff „Arisierung" hätte man als NS-Terminologie gerne in
Anführungszeichen gesetzt gesehen. Am deutlichsten wird dieses etwas laxe Vorgehen im abschließenden
Namensregister, in dem zum einen mehrere Namen fehlen, zum anderen viele Verweise nicht stimmen.
Im Buch selbst finden sich auffällig viele orthographische Fehler sowie in dem einen oder anderen Fall
stilistische Ungereimtheiten („Der Viehhandel blieb lange in jüdischer Hand", S. 65) oder verschiedentlich
feststellbare Redundanzen. Auch sind manche Quellen nicht oder nur ungenau angegeben. Diese eher
formalen Mängel geben der Arbeit an manchen Stellen leider einen etwas unprofessionellen Anstrich und
beeinträchtigen den Gesamteindruck zu einem gewissen Maße. Sie sind aber weit davon entfernt, entscheidend
zu sein. Die Achillesferse der vorliegenden Arbeit ist vielmehr, dass Andrea Brucher-Lembach

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