Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
127.2008
Seite: 198
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2008/0198
Der Anthropologe und Humangenetiker Eugen Fischer wurde 1927 von Freiburg an das Kaiser-Wilhelm
-Institut nach Berlin berufen, wo er beste Bedingungen für seine Forschungen auf dem Gebiet der
„Rassenkunde" und „Erblehre" fand. Mit dem Leiter des Instituts, Max Planck, war er bereit, die Forschung
auf dem Gebiet der „Rassenhygiene" in den Dienst des Staates zu stellen. Nach 1933 fand Fischer
deutliche Worte über die „unmittelbare Brauchbarkeit" seiner wissenschaftlichen Ergebnisse hinsichtlich
der nationalsozialistischen „Rassen"- und Bevölkerungspolitik. In einem öffentlichen Vortrag in Königsberg
scheute er sich nicht vom Ausmerzen erblich Kranker und „rassenmäßig" nicht in unser Volk Passender
zu sprechen. Auf den Psychiater und Neurologen Alfred Erich Hoche geht die Formulierung „lebensunwertes
Leben" zurück. 1920 publizierte er eine Schrift, der ein Manuskript des mit ihm befreundeten
Juristen Karl Binding von 1913 zugrunde lag: „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten
Lebens. Ihr Maß und ihre Form". Binding diskutierte das Problem der Sterbehilfe und kam bei der aktiven
Vernichtung „objektiv sinnlosen" Lebens an. Hoche erörterte das Thema aus der Sicht des Arztes und
gelangte zum Ergebnis, dass dieser nicht verpflichtet sei. unter allen Umständen Leben zu erhalten. In seiner
drastischen Ausdrucksweise nannte er unheilbar geistig Kranke „leere Menschenhülsen" oder „Ballastexistenzen
". Die Schrift wird in den Kontext des Ersten Weltkriegs und der Niederlage von 1918 gesetzt
, aus der Zeitstimmung erklärt mit dem Hinweis darauf, dass in Akademikerkreisen schon vor 1914
einschlägige Diskussionen stattfanden. Unzweifelhaft ist, dass Hoche mit seinen provozierenden sozialdarwinistischen
Aussagen in eine nachhaltige Verstrickung geraten ist. auch wenn er als Emeritus seit
1933 mit der Umsetzung seiner Denkanstöße im Dritten Reich nichts zu tun hatte.

Die Bearbeiter bieten dem Leser oder Benutzer dieses Werks mit Handbuchcharakter klare Aussagen
zu brisanten Themen der Zeitgeschichte. „Die bedrängende NS-Zeit in ihren Voraussetzungen und Folgen
" bildet einen Schwerpunkt und geht unter Verwendung neuer Forschungsergebnisse weit über die Darstellung
der 1993 erschienenen ersten Auflage hinaus. Ausführlich behandeln sie die Entlassung der jüdischen
Fakultätsmitglieder 1933. Die Umsetzung des ominösen Gesetzes „zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums
", die sich fachlich höchst nachteilig auswirkte und menschlich zu Enttäuschung, Leid
und Not führte, hinterlässt wegen der glatten Abwicklung ohne nennenswerte Einreden einen schalen
Nachgeschmack. Insgesamt mussten im Frühjahr 1933 vierzig Mitarbeiter die Medizinische Fakultät der
Universität Freiburg verlassen. Der prominenteste unter ihnen war der Direktor der Medizinischen Klinik
Siegfried Thannhausen der eben zum Dekan gewählt worden war. 1931 hatte er mit viel Optimismus und
Schwung den Klinikneubau in der Hugstetter Straße bezogen.

In einem eigenen Kapitel sind die Schicksale der Betroffenen nachgezeichnet. Im Falle Thannhausers,
der 1935 einem Ruf nach Boston folgte, liegt reichlich Material vor. Der Biochemiker Rudolf Schönhei-
mer, den Ludwig Aschoff 1926 an sein Institut geholt hatte, erhielt die Nachricht von seiner Entlassung
per Telegramm während einer USA-Reise. Die Dermatologin Bertha Ottenstein, 1931 als erste Frau in
Freiburg habilitiert, emigrierte nach Budapest und später nach Istanbul, wo sich eine „Notgemeinschaft
Deutscher Wissenschaftler im Ausland" gebildet hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand sie eine Arbeitsmöglichkeit
bei Thannhauser, die ihrer Qualifikation aber nur bedingt entsprach.

Der Band führt bis in die allerjüngste Zeit, genau ins Jubiläumsjahr der Albert-Ludwigs-Universität
2007. Da die Medizinische Fakultät seit der Gründung 1457 bestand, werden hier 550 Jahre behandelt,
beginnend mit der Heilkunde des Mittelalters und den Errungenschaften der Aufklärung. Auf den hier
näher betrachteten Schwerpunkt folgt eine ausführliche Darstellung der Wiederaufbauphase nach dem
Zweiten Weltkrieg. Bei der 500-Jahrfeier der Universität sahen die damals 18 Ordinarien der Medizinischen
Fakultät von Büchner bis Zöllner zufrieden auf das Erreichte zurück. Es folgten jedoch bald die turbulenten
1960er- und 1970er-Jahre. 1968 erscheint als Zäsur, entsprechend der Verankerung im Bewusst-
sein der Zeitgenossen, und als das Jahr, in dem das neue Hochschulgesetz in Kraft trat.

Es ist unmöglich, in alle Kammern des Buches hineinzuleuchten. Es muss aber gesagt sein, dass auch
die bauliche Unterbringung der Kliniken und Institute durch die Zeiten abfragbar sind. Die Albertstraße
war das Klinik-Viertel des 19. Jahrhunderts. Aus Seite 425 geben die Autoren im fließenden Text Auskunft
über ihre Quellen, wozu auch private Nachlässe von Ordinarien gehören. Im Vorwort heben sie das
unter Leitung von Dieter Speck neu geordnete Universitätsarchiv hervor. Im Schlusskapitel werden Aussagen
des ehemaligen Direktors der Medizinischen Klinik, Wolfgang Gerok, über die ethische Verpflichtung
der Mediziner zitiert: Er warnte vor den Gefahren der neuen Möglichkeiten und mahnte sensible therapeutische
Entscheidungen an. Medizin und Ethik ist auch ein Stichwort im Sachregister. Es führt zur Information
, dass 1977 am Institut für Geschichte der Medizin, dessen Leiter damals Eduard Seidler war,

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