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Nordwand der Chorschranken sind heute noch 24 Tanzpaare zu erkennen, unterteilt in „Die
Mächtigen", „Die Bürger" und „Das Volk". Von Begleitversen ist nichts bekannt.
Zu Beginn der Neuzeit wandelt sich die Gestaltungsweise von Totentänzen unter dem Ein-
fluss von Humanismus und Reformation. Da die Menschen aller Stände und aller Altersstufen
dem Tod gegenüber gleich sind, können sie auf eine entsprechend gerechte Behandlung hoffen
. Seit der künstlerischen Gestaltung des Themas durch Hans Holbein d. J. und seine Nachfolger12
treten die mittelalterlichen Motive einer bildhaften Bußpredigt hinter die Absicht
zurück, die Menschen so darzustellen, wie sie sich im Leben verhalten, bis der Tod sie ergreift.
Während in der Barockzeit die mit Sinnbildern verknüpften Darstellungen des Totentanzes
überwiegen, ersetzt man in der Epoche der Aufklärung den „grausamen Tod" durch „Freund
Hein", der den Sterbenden die Angst vor dem Tod nehmen soll.
Die Ursprünge des deutschen Totentanzes sind am Oberrhein und in den angrenzenden
schwäbisch-alemannischen Sprachgebieten zu suchen, also im Elsass, in Baden und Oberschwaben
sowie in der Nord- und Mittelschweiz.13 Bei den frühesten Beispielen handelt es sich
um Darstellungen der Legende von der „Begegnung der drei Lebenden und der drei Toten" und
zwar in Sempach-Kirchbühl (um 1310) und Badenweiler (um 1360), später auch in Basel
(St. Jakob), Überlingen, Eriskirch, Brigels und Zurzach.
Im alemannischen Sprachraum entstand der erste monumentale Totentanz um das Jahr 1440
an der Mauer des Laienfriedhofs neben dem Dominikanerkloster in Basel. Weil dieser Totentanz
während des von 1431 bis 1448 in Basel tagenden Konzils geschaffen wurde und weil dieses
für alle zugängliche Wandgemälde mit beinahe lebensgroßen Figuren als außergewöhnliche
Attraktion galt, wurde dieser Totentanz sehr schnell bekannt, bewundert und nachgeahmt. Eine
ähnliche Wirkung soll von dem etwa gleichzeitig entstandenen Totentanz im Kreuzgang des
Augustiner-Chorherrenstifts Wengenkloster in Ulm ausgegangen sein. Beide Wandgemälde
sind zerstört worden; für Basel haben sich allerdings qualitätvolle Kopien erhalten, auf denen
die Wandgemälde wenigstens im Zustand der zeitgenössischen Restaurierungen wiedergegeben
sind.
III. Darstellungen der Totenlegenden im alemannischen Sprachraum
a) Legende von der „Begegnung der drei Lebenden und der drei Toten"
In dieser Legende wird erzählt, wie drei Edelleute auf der Jagd an einem Friedhof vorbeikommen
und dort ihren verstorbenen Vorfahren begegnen, die als Skelett aufrecht vor ihnen stehen
und ihnen über die Welt des Todes berichten: quodfuimus estis - quod sumus eritis (Was ihr
seid, das waren wir - was wir sind, das werdet ihr).14 Abbildungen finden sich vor allem in
illuminierten Handschriften und als Freskomalerei. Manchmal verkörpern die Lebenden zugleich
die drei Lebensalter oder die Toten drei verschiedene Rangstufen des Adels. Häufig tra-
12 Siehe Kapitel IV, Nr. 13.
13 Im Ergebnis ebenso Wunderlich (wie Anm. 1), S. 25, und Sörries (wie Anm. 6), S. 80.
14 Der Kern dieser Legende kommt bereits in orientalischen Schriften vor. Der zitierte Ausspruch der Toten fand
sich in griechischer Schrift auf einem Grabmal aus der Zeit um 355 n.Chr. in Gadora (Nordjordanien). In Europa
wird die Legende erstmals in einem Trauergedicht Alkuins (8. Jahrhundert) und später in der „Lamentatio et
deploratio de morte" des Walter de Mapes (um 1200) erwähnt. Seit Mitte des 13. Jahrhunderts ist sie allgemein
bekannt durch Gedichte, illuminierte Handschriften und Wandmalereien, Wunderlich (wie Anm. 1), S. 38ff.;
Regula Odermatt-Bürgi: Todesdarstellung in der Innerschweizer Kunst vom 14. bis 18. Jahrhundert, in: Der
Geschichtsfreund 149 (1996), S. 130ff.; Michael Quinton Smith: Drei Lebende und drei Tote, in: Lexikon der
christlichen Ikonographie, Bd. 1, Freiburg 1994, Sp. 550ff.; Valentino Pace: „Dalla morte assente alla morte
presente": Zur bildlichen Vergegenwärtigung des Todes im Mittelalter, in: Borst (wie Anm. 2), S. 363ff.; Rotzler
(wie Anm. 10); Karl Künstle: Die Legende der drei Lebenden und der drei Toten und der Totentanz, Freiburg
1908. Vgl. auch Kapitel III, Nr. 1-8, vor allem Sempach-Kirchbühl, Badenweiler, Überlingen und Eriskirch.
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