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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2009/0158
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Alfons H. durfte wegen der Einstufung als „Hangtäter" nicht länger Mitglied der Wehrmacht
sein. Die Reststrafe von 309 Tagen verbüßte er im Gefängnis Rottenburg, wo er am
8. März 1945 entlassen wurde. Noch im gleichen Jahr wurde er vom Landgericht Waldshut
erneut aufgrund von § 175 StGB verurteilt. Später lebte er in Frankfurt am Main.18

Paul H. und andere, ein großer Prozess am Bodensee

Mit folgendem Inserat in der Bodenseezeitung vom 30. Oktober 1937 - zwei Jahre nach
Verschärfung des § 175 StGB und auf dem Höhepunkt der Homosexuellenverfolgung -
fing alles an:

Herr sucht für seine sonntäglichen Aufenthalte in Radolfzell vorurteilsfreien, aufrichtigen Freund. Angehörige
des Heeres oder der SS bevorzugt. Off. von intelligenten, grundehrlichen Menschen erbeten
unter „ Odin ".

Daraufhin meldete sich ein SS-Mann, um „Odin" zu enttarnen, was prompt gelang. Beim
Verhör nannte Paul H., alias Odin, geboren 1898 in einem kleinen Dorf nahe Tuttlingen,
weitere Namen. Diese Männer wurden ebenfalls vernommen und Stück für Stück flog ein
großes Netzwerk von Beziehungen auf. Diese Personen kannten sich nicht alle gegenseitig
, waren aber in verschiedenen Kombinationen miteinander befreundet. Mehr als 30
Männer wurden verhört, letztendlich reichte es für Anklagen gegen zwölf von ihnen. Es
handelte sich um eine sehr heterogene Gruppe im Alter zwischen 20 und 42 Jahren, alle
wohnten im Bodenseeraum. Zehn waren katholisch, zwei evangelisch, neun waren ledig,
zwei verheiratet, einer geschieden, acht hatten keine Vorstrafe, zwei waren wegen § 175
StGB vorbestraft und zwei hatten andere Vorstrafen. Auch berufsmäßig waren sie sehr verschieden
: Vier waren Kaufleute, einer Postbetriebsarbeiter, einer Bahnbediensteter, einer
Grundbuchassistent (Beamter), dessen Verurteilung natürlich berufliche Konsequenzen
hatte. Ein Arbeiter, ein Friseur, ein Gärtner und zwei Mechaniker waren auch dabei.
Einige der Männer waren Mitglieder in verschiedenen NS-Organisationen.

Paul H., unter den Homosexuellen als „Hegaufürstin" bekannt, sowie einige andere waren
Mitglieder der „Liga für Menschenrecht" in Zürich und fuhren zu Tanzunterhaltungen
der Liga dorthin. Die Männer nutzten die Nähe zur Schweiz, um auch dort ihre Neigungen
zu leben. Paul H. schrieb unter dem Namen Fritz Eckwald Erzählungen für die in
Zürich erscheinende Zeitschrift „Menschenrecht - Blätter zur Aufklärung gegen Ächtung
und Vorurteil". Der Staatsanwalt in Konstanz schrieb nach Zürich und bat, diese Aktivitäten
zu unterbinden. Man erhielt die Antwort, dass diese Handlungen in Zürich nicht
verboten seien.

Am 11. Mai 1938 verurteilte das Landgericht Konstanz zehn der Männer zu Gefängnisstrafen
. Zwei Männer erhielten 2 Jahre und 6 Monate, vier Strafen waren zwischen 1
und 2 Jahren und vier unter 1 Jahr. Ein Mann, Oskar M., geboren 1905 im Bodenseeraum,
verbrachte die letzten 10 Monate seiner Strafe im Strafgefangenenlager Rollwald. Paul H.
war auch acht Tage in Rollwald, wurde aber wegen „Lagerunfähigkeit" in das Gerichtsgefängnis
Ulm überführt. Alle blieben von Zuchthausstrafen und Ehrverlust verschont.
Die Männer wurden alle nach Verbüßung ihrer Haftstrafe entlassen. Keiner blieb in
„Schutzhaft" oder „Vorbeugungshaft". Die übrigen zwei Männer wurden vom Amtsgericht
Radolfzell zu 2 bzw. 3 Monaten Gefängnis verurteilt. Auch sie kamen nach der Haft
frei. Keine Akte deutet darauf hin, dass einer der Männer in der NS-Zeit wieder straffällig
wurde.19

18 StAF, Bestand F 180/1, KLs 23/41, Prozessakte; ebd., Bestand F 180/1, Ls 13/48, Prozessakte.

19 StAF, Bestand D 81/1, Nr. 543, Prozessakte.

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