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Leo Baeck formulierte, die einzige Art wie sie den Nazis gegenüber ihre Opposition auszudrücken
vermochten.^
Es war letztlich der NS-Maßnahmenstaat, der selbst jene Kleinformen der Nonkonformität,
der Verweigerung und des Dissenses als Widerstandshandeln sanktionierte. Ob als Widerstän-
digkeit, als simple Mitmenschlichkeit intendiert, auch dieses Handeln bedeutete erhöhte Selbstgefährdung
. Wie konkret die Gefahr seinerzeit gewesen war, erfuhr Bader 1947 bei der Sichtung
des umfangreichen Gestapodossiers über Gertrud Luckner.39 Um eine mutmaßliche Nachrichtenzentrale
des Freiburger Erzbischofs zu enttarnen, war Luckner bis zur Festnahme im
März 1943 ein halbes Jahr von Beamten der Düsseldorfer Staatspolizeileitstelle observiert worden
. Nahe der Anwaltskanzlei war sie mehrmals gesehen worden, wie sie scharf auf die rechte
Straßenseite zu[fuhr], ... von Fahrrad abstieg und ... Anstalten machte, auf das Haus zuzugehen
. Sie vergewisserte sich jedoch ... noch einmal, ob sie jemand beobachten könnte wurde
stutzig bestieg dann plötzlich wieder das Fahrrad und fuhr einen anderen Weg.40
Bei der Verhaftung im Zug zwischen Offenburg und Karlsruhe wurde auch ihr Adressbuch
beschlagnahmt. Unter den Namenseinträgen war der des Anwalts. Ich stand in ihrem Büchlein,
als sie verhaftet wurde. Da stand nur , Bader' und ein Mann von der Gestapo, der früher bei
der Freiburger Polizei war und der mich kannte, sagte mir später, wir haben genau gewusst,
wer der Bader war, aber der Bader war ja beim Militär.41 Auch das gab es: einen zur Gestapo
versetzten Polizeibeamten, der eine Spur nicht weiter verfolgte! Einer willkürlichen Entscheidung
, auch dies ein Strukturelement des Unrechtsstaats, verdankte Bader, dass ihm Vorladung,
Verhör, womöglich Verhaftung und Haft erspart geblieben waren.
Karl Siegfried Bader befand sich damals tatsächlich beim Militär. Nur Wochen nach der
Reise in die Schweiz, im Februar 1941, wurde er zur Wehrmacht eingezogen. Weil der Sozius
bereits 1940 zum Landgericht Kassel beordert und schließlich an die Ostfront abkommandiert
worden war, wurde die Kanzlei „Dr. Karl Siegfried Bader, Dr. Hans Eisele, Rechtsanwälte"
aufgelöst. Zunächst war Bader wegen seines Doktortitels irrtümlich zur Sanitätsabteilung eingezogen
worden. Dr. iur. gabs beim Kommis nicht. Ich wurde ... zur Sanität [sie] als beinahe
40-Jähriger eingezogen, ungedient, daher hagelte es auf dem Kasernenhof mit [Beschimpfungen
wie] , taube Nuss' und dergleichen.42 Eben der Kasernenhof ton, die offenkundige Intellektuellenfeindschaft
und Verachtung von Individualität, dazu die Erfahrungen aus dem Wehrstrafvollzug
prägten Baders Wahrnehmung nachhaltig. ... warum hat man nie gehört, dass
einer von diesen Schindern später zur Rechenschaft gezogen wurde, artikulierte sich noch nach
Jahrzehnten seine Empörung.43
Als gesundheitsbedingt nicht frontdiensttauglicher Infanterist war Bader zunächst Bataillonsschreiber
in Ulm. 1942 fand er auf vermittelnde Fürsprache des Strafrechtlers Adolf
Schönke Verwendung im Freiburger, einem von acht zentralen Wehrmachtsgefängnissen
(Abb. 3). Eine belastende Erfahrung: die Vollstreckung von 43 Todesurteilen gehörte dazu.
Manches hat Bader seinen nachträglich „unter gefangenen Soldaten" überschriebenen Aufzeichnungen
anvertraut, die heute im Münchener Institut für Zeitgeschichte verwahrt werden.
Anderes fiel unter das in zunehmendem Umfang wahrgenommene Mandantenverhältnis, denn
Bader trat schließlich zeitweilig fast jede Woche als Amtsverteidiger vor Militärgerichten auf.44
38 Zitiert nach Juliane Wetzel: Hilfe und Solidarität, in: Lexikon des deutschen Widerstandes, hg. von Wolfgang
Benz und Walter Pehle, Frankfurt a.M. 1994, S. 228-231, hier S. 228.
39 Es liegt heute, soweit erhalten, in edierter Form vor. Vgl. Wollasch (wie Anm. 35).
40 Ebd., S. 136.
41 Vgl. Kibener (wie Anm. 9).
42 Reiner Haehling von Lanzenauer: Aus einem Briefwechsel mit Karl Siegfried Bader, in: Zeitschrift für die Geschichte
des Oberrheins N.F. 109 (2000), S. 369-384, hier S. 378.
43 Ebd.
44 Ebd., S. 369.
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