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nistische Gruppen sind hier ebenso einzuordnen wie die, hier vielleicht etwas zu kurzatmig geschilderten,
neuen Möglichkeiten für jüdische Frauen zum Universitätsstudium. Bestes Beispiel hierfür ist die aus Kippenheim
stammende Historikerin Selma Stern.
Der folgende Abschnitt über „Verfolgung und Deportation 1933-1945" ist mit nicht einmal 20 Seiten
(S. 125-143) definitiv zu kurz geraten und weist demnach einige Darstellungslücken auf. Dies kann auch
nicht durch eine eingestreute Zeittafel über „Antijüdische Maßnahmen 1933-1945" (S. 128f) ausgeglichen
werden. Das gewaltsame Ende der jüdischen Gemeinden in Baden durch die Deportation der meisten
Jüdinnen und Juden im Oktober 1940 hätte als einschneidendes Ereignis sicherlich ebenfalls eine konkretere
Beschreibung erfahren müssen. Letztlich reicht die Wiedergabe von drei längeren Quellentexten
sicherlich nicht aus, um dieses folgenreiche Geschehen zu erfassen. Auch wenn man eine gewisse
Verlagerung der Forschungsschwerpunkte in den letzten Jahren berücksichtigt, die weniger den Holocaust
, sondern wieder stärker die Beteiligung der Juden am gesellschaftlichen Leben betonen, ist diese
kurze Abhandlung zur NS-Zeit enttäuschend, zumal Kaufmann manches aus der relevanten neueren
Forschungsliteratur unberücksichtig lässt.
Eine besondere Stärke von Kaufmanns Buch liegt hingegen in der Darstellung der Jahre nach 1945 bis
in die Gegenwart, die rund ein Viertel des gesamten Buches ausmacht (S. 144-192). Die ausgesprochen
schwierige Situation und Aufbauarbeit der jüdischen Nachkriegsgemeinden in den Städten Freiburg, Heidelberg
, Karlsruhe, Konstanz und Mannheim wird hier erstmals in einer längeren Zusammenfassung beleuchtet
. Mitte der 1950er-Jahre bestand die jüdische Gemeinschaft in ganz Baden insgesamt aus nur rund
500 Personen, mittlerweile wird eine Mitgliederzahl von rund 5.000 geschätzt, was auf den starken Zuzug
russischer Juden seit 1989 zurückzuführen ist. Besonders in den Blick genommen wird in diesem Abschnitt
das Wirken einzelner einflussreicher Funktionäre wie etwa Otto und Werner Nachmann, Sigmund
Nissenbaum oder Julius Ellenbogen aus Freiburg. Bedeutende kulturell-religiöse Funktionsträger wie die
Landesrabbiner Robert Raphael Geis und Nathan Peter Levinson, aber auch die besonders wichtigen „Seelen
der Gemeinden", die sich um die alltäglichen Belange kümmerten, werden berücksichtigt. Durch
Kaufmanns Beschreibung wird vor allem aber deutlich, welch großer Forschungsbedarf gerade für diesen
Zeitabschnitt noch besteht. So ist etwa eine eingehende Erforschung der „Jüdischen Landesgemeinde Südbaden
" mit Sitz in Freiburg sowie des Wiederaufbaus der dortigen Gemeinde eine wichtige Aufgabe. Zu
rudimentär sind dagegen in diesem Abschnitt, der das neue Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden darstellt
, die mittlerweile erzielten Forschungsergebnisse zur Durchführung der sogenannten „Wiedergutmachung
" und „Entschädigung" eingeflossen, hatten diese Vorgänge doch, wie unlängst Andrea Brucher-
Lembach für Freiburg beschrieb, einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Positionierung jüdischen
Lebens im Nachkriegsdeutschland.
Der Autor war für seinen Überblick vor die schwierige Aufgabe gestellt, eine mittlerweile insbesondere
für die Zeit von etwa 1650 bis 1950 stark angewachsene Forschungsliteratur aufzubereiten. Hier wird man
sich mit der Darstellung der großen Verlaufsprozesse einverstanden erklären können, die Kaufmann zumeist
kenntnisreich und anschaulich präsentiert. Die Gewichtung konzentriert sich dabei sehr auf die
großen jüdischen Stadtgemeinden in Karlsruhe, Heidelberg und Mannheim, während die Landgemeinden
etwas unterrepräsentiert wirken. Verschiedentlich bewegt sich das Werk nicht mehr auf der Höhe der Forschung
und der bekannten Tatsachen. So ist z.B. die Datierung der beeindruckenden Offenburger Mikwe
als mittelalterliches Bauwerk längst nicht mehr unumstritten (S. 13) und für die ehemalige Synagoge in
Kippenheim als bedeutende südbadische Gedenkstätte ist nicht nur eine Restaurierung der Außenfassade
zu konstatieren, sondern inzwischen auch eine umfassende Innenrenovierung (S. 207). Teilweise sind Angaben
widersprüchlich oder ungenau. So werden etwa für die Amtsübernahme des badischen Oberlandesrabbiners
Nathanael Weil drei verschiedene Daten genannt: 1745, 1749 und 1750. Ab und zu springt
der Autor in verwirrender Manier zwischen den Zeiten, sodass z.B. die Frömmigkeit der Landjuden in der
Frühen Neuzeit mit einem Torawimpel aus dem 19. Jahrhundert illustriert wird (S. 27-29). Außerdem folgen
die Einzelblöcke der Darstellung in einigen Fällen zu abrupt aufeinander und wirken in dieser Form
etwa assoziativ aneinander gereiht. Hilfreich für den Leser sind ein den Text abschließendes Glossar, verschiedene
Karten, eine Zeittafel sowie Hinweise auf Literatur und Informationsquellen. Nachteilig macht
sich das Fehlen eines Namens- und Ortsregisters bemerkbar. Hinzu kommen über das ganze Buch verteilt
einige Stilunsicherheiten in der Textformulierung, sodass die „Kleine Geschichte der Juden in Baden"
einen nicht durchgängig zufriedenstellenden Eindruck macht. Ein sorgfältigeres Lektorat und der eine
oder andere Überarbeitungsdurchgang hätten möglicherweise weitergeholfen. Kaufmanns Buch wird
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