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Entstehung und Verlauf der Großen Zehrung
Der Brauch, bestimmte Ereignisse mit einer ausgiebigen Mahlzeit in einem Gasthaus abzuhalten
, hatte sich vermutlich erst allmählich herausgebildet. In den abgelegenen Tälern des
Schwarzwaldes konnte in der Zeit vor 1500 ein Gasthaus nur selten länger bestehen. Lediglich
in den Dörfern, welche an einer der überregionalen Straßenverbindung wie durch das Wagensteigtal
nach Villingen oder durch das Höllental nach Donaueschingen und Schaffhausen lagen,
gab es dauerhaft bewirtschaftete Gasthäuser. Diese hatten in erster Linie die Funktion, die
durchreisenden Fremden mit Speise und Trank zu versorgen und Beherbergungsmöglichkeiten
anzubieten.
Das Recht, eine Gastwirtschaft zu führen, wurde damals häufig Jahr für Jahr erneut vergeben
. Nicht immer fand sich jemand, der bereit war, zu bewirten. Daraus folgte, dass in den einzelnen
Gemeinden das Haus, welches als Gastwirtschaft diente, öfters wechselte. Häufig wurde
unregelmäßig und nicht kontinuierlich gewirtet. Damit waren die Voraussetzungen für eine
generelle Abhaltung der Großen Zehrungen in einem bestimmten Gasthaus einer Gemeinde in
der Regel noch gar nicht gegeben.
Verschiedene Faktoren trugen dazu bei, dass sich im Laufe der Zeit in fast jeder Gemeinde
eine Gastwirtschaft befand. Die früher unter freiem Himmel abgehaltenen Gerichtstage verlegte
man in die Häuser. Die Gemeindemitglieder benötigten einen Ort, an welchem sie ihre Versammlungen
abhalten konnten. Die Vögte der Gemeinde oder sonstige Gemeindediener erhielten
für ihre Dienste kein Geld. Stattdessen durften sie für die von ihnen erbrachten Leistungen
im Gasthaus frei essen und trinken. Die Herrschaft selbst hatte ein Interesse daran, dass
Gasthäuser vorhanden waren, da für den getrunkenen Wein eine Steuer, das sogenannte „Um-
geld", entrichtet werden musste. Nicht zuletzt hatten die Dorfbewohner das Bedürfnis, am
Sonntag einmal etwas anderes als Haus und Hof zu sehen und im Gasthaus Wein zu trinken,
sich zu unterhalten oder Karten zu spielen. Anfang des 16. Jahrhunderts hatte so gut wie jede
Gemeinde im südlichen Schwarzwald zumindest ein Gasthaus.
Erst jetzt konnte sich der Brauch entwickeln, Taufen, Hochzeiten, Hofteilungen und Weinkäufe4
mit öffentlichen Mahlzeiten in einem Gasthaus zu verbinden. Höchst eindrucksvoll
schildert diese mit der Zeit entstandenen Verhältnisse eine Beschwerde, die im Jahr 1608 von
Vögten und Bauern aus vier im Schwarzwald gelegenen fürstenbergischen Amtern vorgebracht
worden war. In dieser Klage heißt es u.a.: 1. Die früheren Mandate haben nichts genützt, es sind
sogar die überflüssigen Mahlzeiten und Gastereien früher nicht so häufig und lästerlich geübt
worden als jetzt ... 2. An ehrlichen Hochzeiten wird es ... gehalten, dass man Morgens zur
Morgensuppe in Haufen zu den Hochzeitspersonen hinzieht, sich zu Tisch setzt, mit Suppe,
Fleisch und Gebackenem gespeist wird, auch Wein im Überfluss hingestellt wird, so dass sich
alle vollkröpfen und vollsaufen, dermassen, dass wenn man zur Kirch geht ... wenig andere
Gottesfurcht beim Hinziehen verspürt wird, als dass alles jauchzt und schreit ...So thun sie
auch, nachdem man aus der Kirch kommt und noch einen Weg zum Wirtshaus macht, desgleichen
nach dem Mahl, so man zum Tanz geht. Wenn man dann wieder in die Kirch und zum
Opfer gehen soll, fallen sie von einer Wand zur andern. Sobald das Hochzeitsmahl angesetzt
wird, heben sie auch zugleich an zu schreien und [zu] singen ...3. Des anderen Hochzeitstages
... begeben sie sich wieder in der Hochzeitspersonen oder deren Eltern Häuser bis 6, 7 oder 8
Tischen zusammen [kommen] ... dabei verweilen sie sich mit Tanzen, Singen u. dgl., dass man
4 Der Weinkauf war im Mittelalter ein rechtlicher Formalakt zur Beweissicherung beim Abschluss von Verträgen,
besonders bei Liegenschaftskäufen. Eine bestimmte Summe Geld wurde für Wein und Essen für die Kontrahenten
und Zeugen verausgabt. Durch die Abhaltung dieser Zehrungen in einem öffentlichen Gasthaus wurde der Ver-
tragsabschluss sozusagen bekannt gemacht.
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