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Jean Noes führte dessen einziger Sohn, Jakob Philipp, die geschäftlichen Aktivitäten bis zu dessen
eigenem Tod im Jahr 1791 weiter.26 Lili Schönemann war somit eine Nichte des im Jahr
1783 mit dem Transport der Spirituosen beauftragten Frankfurter Firmeninhabers.27
Und Goethe? Die im Rahmen unserer bisherigen Ausführungen schon mehrfach sichtbar
gewordenen Bezüge zur Lebenswelt des Weimarer Dichters werfen unwillkürlich die Frage auf,
wo sich Goethe im Februar 1783 aufhielt und welchen Aktivitäten er zu jener Zeit nachging.
Dank der minuziösen Forschungsarbeit ganzer Generationen von Forschern ist es uns heute
möglich, das Leben Goethes selbst für eine nur wenige Tage umfassende Zeitspanne verhältnismäßig
präzise nachzuzeichnen.
Um es vorwegzunehmen: Im Februar 1783 gab es in Weimar allen Grund zum Feiern, sodass
Seiingers Aufenthalt in der Residenzstadt vermutlich nichts weiter war als die kulinarische
Kehrseite von lokalen Ereignissen, die den gesamten herzoglichen Hof in irgendeiner Form
involviert haben dürften.
Doch zunächst zu Goethe: Der Dichter lebte seit Herbst 1775 in Weimar.28 Im April 1782
wurde er auf Betreiben Herzog Carl Augusts von Kaiser Joseph II. (1741-1790) in den
Adelsstand erhoben und zog noch im Juni des gleichen Jahres von seinem Gartenhaus (im
Weimarer Ilmpark am Stern) in ein Haus am Weimarer Frauenplan.29 Am 3. Februar 1783, also
rund zwei Wochen vor Seiingers Ankunft in Weimar, erblickte der lang ersehnte Erbprinz Carl
Friedrich (1783-1853), der Sohn Herzog Carl Augusts und Louises von Hessen-Darmstadt
(1757-1830),30 das Licht der Welt, was Goethe am 15. Februar 1783 (gegen Morgen) zur Abfassung
folgender Verse veranlasste:
Vor vierzehn Tagen harrten wir
In dieser nächtlichen Stunde,
Noch zweifelhaft auf unser Glück,
Mit zugeschloßnem Munde.
Nach vierzehn Tagen kommen wir,
Die Stimme zu erheben,
Zu rufen: Endlich ist er da!
Er lebt, und er wird leben!
Nach vierzehn Jahren wollen wir
Dies Ständchen wieder bringen,
Zu seiner ersten Jünglingszeit
Ein Segenslied zu singen.
Siehe ebd. Der Vollständigkeit halber sei außerdem auf den Frankfurter Weinhändler Peter Friedrich d'Orville
(1745-1820) hingewiesen, der zu Goethes Familie geschäftliche Beziehungen unterhielt. Hierzu siehe von
Gersdorff: Goethes Mutter (wie Anm. 24), Register, S. 457.
Das weitere Schicksal Lilis sei an dieser Stelle wenigstens kurz umrissen: Goethes ehemalige Verlobte ehelichte
im Jahr 1778 den Freiherrn Bernhard Friedrich (Bernard Frederic) von Türckheim (1752-1831), der in Straßburg
als Bankier tätig war und 1792 Straßburger Bürgermeister wurde. Hierzu siehe von Wilpert (wie Anm. 7), S.
955. Weiter Jules Keller u.a.: Artikel „Türckheim (Durckheim, Durcken, Turcken) von/de", in: Nouveau dicti-
onnaire de biographie alsacienne, Bd. 37, Strasbourg 2001, S. 3921-3929, hier S. 3923.
Hierzu siehe bereits oben Anm. 16. Eine handliche und übersichtliche Chronologie zu Goethes Leben und Werk
bietet Rose Unterberger: Die Goethe-Chronik, Frankfurt/Leipzig 2002, bes. S. 91 ff.
Siehe von Wilpert (wie Anm. 7), S. 5, 356f. und 400ff. Weiter Unterberger (wie Anm. 28), S. 91. Eine vorzügliche
,Führung' durch Goethes Privaträume findet sich bei Erich Trunz: Das Haus am Frauenplan in Goethes
Alter, in: Ders.: Ein Tag aus Goethes Leben. Acht Studien zu Leben und Werk (Beck'sche Reihe 1303), München
1999, S. 42-71.
Siehe von Wilpert (wie Anm. 7), S. 166. Die Lebensdaten der Mutter nach ebd., S. 644f.
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