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denden Vorschriften waren Frauen überhaupt nicht erwähnt, das Frauenstudium also nie verboten
, sondern als Möglichkeit bislang gar nicht in Erwägung gezogen worden. Somit änderte
sich mit dem 28. Februar 1900 keineswegs die Gesetzeslage bezüglich der akademischen
Vorschriften, sondern diese wurden lediglich neu ausgelegt.
Dass der Erlass als unmittelbare Antwort auf die von Adelheid Steinmann angeregte Petition
von Johanna Kappes zu verstehen ist, ergibt sich nicht zuletzt aus der gleichzeitig an die
Freiburger Universität ergangenen Anweisung, die bisherige Hörerin rückwirkend für das
Wintersemester 1899/1900 zu immatrikulieren. Nachdem der Damm endlich gebrochen war,
ermöglichte Prorektor Steinmann auch den übrigen Hörerinnen, die im verflossenen Wintersemester
sich dem Studium an unserer Universität gewidmet haben, die ordentliche Immatrikulation
- letzteres sogar ohne Anweisung aus dem Kultusministerium. Anscheinend war sich
Steinmann der fehlenden administrativen Grundlage für diese Vorgehensweise wohl bewusst,
denn er erkundigte sich nicht im eigenen Haus, welche Hörerinnen die geforderten Voraussetzungen
, vor allem das in Deutschland abgeschlossene Abitur, nachweisen konnten, sondern
wählte einen anderen Weg: Er bat Johanna Kappes, ihm die betreffenden Frauen zu nennen. Zu
Recht ging er davon aus, dass ihr deren Namen etc. ... bekannt sein dürften.29 Postwendend traf
die Antwort ein, in der El. Föllinger, Frl. Kleist (richtig: Gleiß, d. A.), Frl. Kehr, Frl. Breymann
mitsamt ihren Adressen aufgeführt waren. Nur zwei Tage später wandte sich das Sekretariat der
Universität an diese vier Hörerinnen und drängte sie geradezu, rückwirkend für das Wintersemester
1899/1900 die Immatrikulation zu beantragen (Abb. 2). Man darf davon ausgehen,
dass dies mindestens mit der Zustimmung, wenn nicht gar auf Anregung von Adelheid Steinmann
geschah. Ihr Mann begründete seine Aufforderung zur Immatrikulation gegenüber den
vier Hörerinnen wie folgt: Da Fräulein stud. med. Johanna Kappes diese Vergünstigung von
Gr. Ministerium der Justiz, des Kultus und Unterrichts bereits gewährt ist, wird auch Ihrem
eventuellen Antrag die ministerielle Genehmigung nicht versagt bleiben.30 Nur die Mitglieder
des Vereins „Frauenbildung-Frauenstudium" konnten wissen, dass die vier jungen Frauen wohl
nach wie vor fürchteten, mit einem solchen Antrag von der Universität gewiesen zu werden und
deshalb der besonderen Aufmunterung bedurften.
In Heidelberg wurden keine Rückdatierungen wie in Freiburg vorgenommen, und die ersten
vier Frauen-Immatrikulationen datieren dort auf das Sommersemester 1900. Somit waren
Johanna Kappes und ihre vier Kommilitoninnen nicht nur die ersten Studentinnen in Freiburg,
sondern im gesamten Deutschen Reich.31 Zu verdanken hatten sie dies der badischen Regierung
, dem Mut der Johanna Kappes und der Unterstützung, man könnte auch sagen: der gekonnten
Regie von Adelheid Steinmann.32
Alle fünf übrigens schlössen ihr Medizinstudium mit einer Promotion ab und übten ihren
Beruf als Arztin viele Jahre lang aus, jede in einer anderen deutschen Stadt, alle in einer eigenen
Praxis.33
Steinmann an Kappes, 14.3.1900, UAF, B 1/2739. Vgl. auch den sich dort anschließenden Briefwechsel zwischen
dem Sekretariat der Universität und den Studentinnen Föllinger, Gleiß, Kehr und Breymann.
30 Universitätssekretariat an Föllinger, Gleiß, Kehr, Breymann, 20.3.1900, UAF, B 1/2739.
31 Vgl. Wolfgang U. Eckart: „Zunächst jedoch nur Versuchs- und probeweise" - Vor 100 Jahren: Die ersten
Medizinstudentinnen beziehen die Universität Heidelberg, Heidelberg 2000, Internet: www.uni-heidelberg.de/
institute/fak5/sonstiges/timeline/frauen.html (4.9.2011), S. 7.
32 Vgl. merk(wie Anm. 3), S. 285.
33 In Nürnberg, Wiesbaden, Berlin, Hamburg, Frankfurt und Braunschweig; vgl. Jutta Buchin: Kurzbiographien
der Ärztinnen aus dem Kaiserreich, in: Johanna Bleker/Sabine Schleiermacher: Ärztinnen aus dem Kaiserreich
. Lebensläufe einer Generation, Weinheim 2000, S. 233-305, hier S. 240 (Breymann, Margarete), 251
(Gerbert, Elisabeth, geb. Föllinger), 252 (Gleiss, Maria Wilhelmina), 365 (Kehr, Käte) und 304 (Worminghaus,
Johanna, geb. Kappes).
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