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2. Die „Memminger Bundesordnung" der oberschwäbischen
„Christlichen Vereinigung"
Die Kette der Ereignisse, die wir Bauernkrieg nennen, begann in der zweiten Hälfte des Jahres
1524 beiderseits des Hochrheins im Schwarzwald und auf der Baar, im Thurgau, Hegau und
Klettgau.2 Die Chronisten sprechen nicht von Krieg, sondern von uffrur und unwill, uffgeleuff,
empörung oder spenn und stöss. Die Bauern kündigten ihren Herren den Gehorsam auf, froren
Abgaben und Dienste ein und starteten spektakuläre Aktionen, um auf sich und ihre Forderungen
aufmerksam zu machen. Denn solange eine friedliche Lösung möglich erschien -
durch gütliche Übereinkunft oder durch das Urteil eines Schieds- oder ordentlichen Gerichts -,
stand Gewalt nicht auf der Tagesordnung. Noch zu Beginn des Jahres 1525 verfassten die
Stühlinger Bauern einen umfangreichen Beschwerdekatalog. Über die gegen ihre Herrschaft
vorgebrachten Klagen, 62 an der Zahl, sollte das Reichskammergericht in Esslingen eine Entscheidung
treffen.
Kurz nach dem Jahreswechsel 1524/25 war die Unruhe auch in Oberschwaben ausgebrochen
. Innerhalb weniger Wochen organisierten sich die dortigen Untertanen in drei großen
Haufen: dem Baltringer, dem Allgäuer und dem Bodensee-Haufen.3
Der Baltringer Haufe war aus kleinen Anfängen in Baltringen, einem Dorf bei Ulm entstanden
. Bereits Anfang Februar war die Zahl derer, die gegen ihre Herren Klage führten, so angewachsen
, dass eine festere Organisation nötig wurde. Huldrich Schmid aus Sulmingen wurde
Oberster, Sebastian Lotzer aus Memmingen Schreiber. Geistiger Mentor im Hintergrund war
Christoph Schappeler, ein Schüler Huldrich Zwingiis und Prädikant in Memmingen. Die in
Ulm tagenden Räte des Schwäbischen Bundes (eines Zusammenschlusses von Fürsten, Adligen
, Prälaten und Städten zur Sicherung des Landfriedens)4 sahen mit Verwunderung und
Sorge auf die Vorgänge im Land. Am 9. Februar erschien eine Abordnung des Bundes im Lager
der Bauern.5 Als drohende Worte der Abgesandten keine Wirkung zeigten, wurde für den 16.
Februar ein neues Treffen vereinbart. An diesem Tag übergaben die Bauern den Bundesgesandten
etwa 300 Beschwerdeschriften, die diese den Herren zustellen wollten. Am 27. Februar
überbrachten die Vertreter des Bundes die Antwort der Herren: Die Bauern sollten den Rechtsweg
beschreiten, notfalls vor dem Reichskammergericht als höchstrichterlicher Instanz klagen.
Inzwischen aber hatte sich im Denken der Bauern ein fundamentaler Wandel vollzogen.
Huldrich Schmid erklärte den Gesandten: Lieben Herren, das muß Gott erbarmen, das ir den
2 Dazu Günther Franz: Der deutsche Bauernkrieg, Darmstadt 111977, S. 92-112; Horst Buszello:
Oberrheinlande, in: Der deutsche Bauernkrieg, hg. von Ders., Peter Blickle und Rudolf Endres (Uni-
Taschenbücher 1275), Paderborn u.a. 31995, S. 61-96, hier S. 61-71. Auch Hiroto Oka: Der Bauernkrieg in der
Landgrafschaft Stühlingen und seine Vorgeschichte seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, Konstanz 1998; Ders.:
Südlicher Schwarzwald und Hochrhein, in: Der Bauernkrieg in Oberschwaben, in Verbindung mit Peter Blickle
hg. von Elmar L. Kuhn, Tübingen 2000, S. 363-386, hier S. 363-379. Peter Kamber: Die Nordostschweiz, in:
ebd., S. 387-409, hier S. 387-401.
3 Zum Bauernkrieg in Oberschwaben vgl. Franz (wie Anm. 2), S. 113-134; Claudia Ulbrich: Oberschwaben und
Württemberg, in: Buszello/Blickle/Endres (wie Anm. 2), S. 96-133, bes. S. 96-123; Blickle/Kuhn (wie Anm.
2).
4 Zum Schwäbischen Bund und seiner Rolle im Bauernkrieg s. Horst Carl: Der Schwäbische Bund, in:
Blickle/Kuhn (wie Anm. 2), S. 421-443; dort auch die ältere Literatur.
5 Einen genauen Bericht über die Verhandlungen zwischen den Bauern und dem Schwäbischen Bund sowie zur
Memminger Tagung am 677. März gibt der St. Galler Chronist Johannes Keßler in seinen „Sabbata", leicht zugänglich
in: Quellen zur Geschichte des Bauernkrieges, hg. von Günther Franz (Ausgewählte Quellen zur deutschen
Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 2), Darmstadt 1963, Nr. 31, S. 143-150;
auch in Willi Alter: Die Berichte von Peter Harer und Johannes Keßler vom Bauernkrieg 1525, Speyer 1995,
S. 127-178, hier S. 145-152.
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