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- Die „Christliche Vereinigung" war ein auf schriftlicher Grundlage errichteter Zusammen-
schluss des Gemeinen Mannes in Stadt und Land, genauer: von Stetten, flecken vnd landtschaff
tenno Vertragliches Fundament war die Bundesordnung in der Freiburger (Lang-)Fassung. Sie
war Programmschrift und Verfassungsdokument in einem.
- Die Vereinigung erstreckte sich großflächig und über die bestehenden Herrschaftsgrenzen
hinweg vom Oberrhein über den Schwarzwald bis in den Hegau. Sie sollte „ewigen", d.h. zeitlich
unbegrenzten Bestand haben.
- Die Vereinigung besaß ein Leitungsgremium mit weitreichenden Kompetenzen. Sie verfügte
über eigene Einnahmen zur Bestreitung der notwendigen Ausgaben.111
- Die „Christliche Vereinigung" war eine Gesinnungs- und Bekenntnisgemeinschaft wahrer
Christen, Gott zu Lob und Ehre; sie war der Bund derer, die das Evangelium hören und demgemäß
leben wollten.
Die „Christliche Vereinigung" war, auch wenn sie auf Gewalt und Krieg möglichst verzichten
wollte, ein Kampfbund zur Verwirklichung des Göttlichen Rechts, d.h. zum Aufbau einer
wahrhaft christlichen Gesellschaft der „brüderlichen Liebe" und des „gemeinen christlichen
Nutzens". Sie war der Motor und Garant der kommenden großen Reformation112 von Kirche,
Gesellschaft und Staat nach den Vorschriften des Göttlichen Rechts. Gegenüber den verstockten
Herren und Obrigkeiten würde sie die Reformation einleiten, die neue Ordnung durchsetzen
und den Gemeinen Mann auch in Zukunft vor erneuter Unterdrückung bewahren.
- Die „Christliche Vereinigung" war ein kommunal-bündischer Verband bäuerlich-bürgerlichen
Charakters, und als solcher lebte sie aus republikanischem Geist. Sie baute sich stufenweise
von unten nach oben auf: von den Städten, Flecken und Landschaften über die einzelnen
„Haufen" bis hin zur „Christlichen Vereinigung". Alle Ämter wurden durch Wahl besetzt und
auf Zeit vergeben. Damit war die „Christliche Vereinigung" das bäuerlich-bürgerliche, republikanische
Gegenbild zum monarchischen Prinzip feudal-adliger Herrschaft.
- Noch ersetzte die Vereinigung die überkommene Ordnung und damit die feudal-adligen
Obrigkeiten nicht, sondern trat kontrollierend und konkurrierend neben die „alten" Herren -
deren Herrschaft jedoch im Zuge der Neuordnung aller Lebensbereiche nach dem Göttlichen
Recht stark beschnitten worden wäre.
Die am 24. Mai 1525 gegründete „Christliche Vereinigung und Bruderschaft" wollte also
mehr sein als ein kurzzeitiges, militärisches Beistandsbündnis. Sie beanspruchte den Rang
eines neuen „Verfassungsorgans". Die politische Ordnung in ihrem Geltungsbereich wäre fortan
von zwei Kräften bestimmt worden: auf der einen Seite die „reformierten" feudal-adligen
Herrschaften, auf der anderen Seite die „Christliche Vereinigung und Bruderschaft" als großräumiger
, herrschaftsübergreifender Wächter über die neue gottgefällige Ordnung und damit als
Protektor des Gemeinen Mannes. Den „alten" Herren drohte das Schicksal, zu Vollzugsbeamten
der „Christlichen Vereinigung" herabzusinken - auf die man auch hätte verzichten können. Am
politischen Horizont zwischen Oberrhein und Hegau erschien durchaus das Bild einer neuen
„Schweiz".
Geht man von den Bestimmungen zum weltlichen Bann im sogenannten „Artikelbrief' aus, hätten auch Adlige
und Geistliche unter Auflagen Mitglied der „Christlichen Vereinigung" werden können. Was die geistlichen Herrschaftsträger
anbetrifft (etwa Bischöfe oder Äbte), ist es jedoch fraglich, ob sie die kommende Reformation überstanden
hätten.
111 Die Obersten und Räte der einzelnen Haufen bildeten das kollegiale Beschluss- und Leitungsorgan der Vereinigung
. Zur Bestreitung der Ausgaben erhob die Vereinigung eine Herdstätten-Steuer in Höhe von zwei Kreuzern
.
112 S. Schreiber (wie Anm. 17), Nr. 285, S. 155f., hier S. 155 (Schreiben vom 29. Mai).
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