http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2012/0126
bis zwanzig Gastspielorten auf, bevor sie in ihre Herkunftsländer zurückkehrten.4 Völkerschauen
waren somit nicht nur Massenveranstaltungen der Metropolen, sondern auch ein flächendeckendes
Massenphänomen, das über mehrere Jahrzehnte ein millionenfaches Publikum
anzog. „Die Inszenierung von außereuropäischen Kulturen als ein der breiten Bevölkerung intellektuell
zugängliches Erlebnis ließ die Zurschaustellung außereuropäischer Menschen zu einem
Massenphänomen werden, das nachhaltige Spuren im europäischen Geistesleben des 19. und
frühen 20. Jahrhunderts hinterließ."5 Diese Spuren in der Freiburger Stadtgeschichte aufzuspüren
, indem einzelne Gastspiele näher beleuchtet und in ihrem kulturgeschichtlichen Kontext verortet
werden, ist Ziel der vorliegenden Arbeit.
Völkerschauen und ihr bürgerlicher Authentizitätsanspruch
Als Carl Hagenbeck 1874 die erste Völkerschau veranstaltete, war die Idee, als ,exotisch' erachtete
Menschen zur Schau zustellen, bereits alt. Hagenbeck entwickelte dieses Konzept jedoch zu
einer immer perfekteren Darbietung außereuropäischen Lebens weiter und schuf dadurch das
neue Genre , Völkerschau' mit seiner spezifischen Inszenierung des ,Fremden'. Durch „einen
anderen Charakter und eine ganz neue Qualität" unterschieden sie sich von früheren und anderen
zeitgenössischen Zurschaustellungen ,exotischer' Menschen.6 Während People of Color7 auf
Jahrmärkten meist einzeln als ,Wilde' oder oftmals gar als ,Menschenfresser' in Szene gesetzt
wurden, im Zirkus als Artisten tätig waren oder im Theater als ,authentische' Rollenbesetzung
in fiktiven und historischen Stücken mitspielten, versprachen die Völkerschauen ihren Besuchern
einen vermeintlich authentischen Einblick in das Leben fremder Völker.8
Anders als im Zirkus und Theater sollten in den Völkerschauen „unverfälschtefr]
Naturmenschen", die sich in ihren heimathlichen Sitten und Gebräuchen zeigen, geboten werden
.9 Auch bei Theaterinszenierungen mit schwarzen Schauspielern wurde deren angebliche
Nähe zur Natur eigens betont. So stellte man z.B. bei dem Freiburger Gastspiel des afroamerikanischen
Schauspielers Ira Aldridge (1807-1867) im Jahr 1852 dessen Muskelkraft, die freilich
fast ausschließlich jetzt noch dieser Race im Allgemeinen eigen ist und die ihn dafür prädestinieren
würde, den Othello zu spielen, in den Vordergrund. Jedoch heißt es im gleichen Artikel,
dass Othello, wie Shakespeare ihn gibt, nicht mehr der reine Sohn der Natur [ist], wie er in
den heißen Sandwüsten Afrikas lebt. [...] Auch unser Ira musste durch die Civilisation aus
diesem Urzustände herausgebracht werden; aber gerade darin liegt sein hohes Verdienst um die
4 Dreesbach (wie Anm. 2), S. 79. Teilweise blieben aber auch einzelne Völkerschaudarsteller sowie ganze Gruppen
über mehrere Jahre in Europa.
5 Ebd., S. 15. Die Hochphase der Völkerschauen lag zwischen den 1880er-Jahren und dem Ausbruch des Ersten
Weltkrieges. In den 1920er-Jahren konnte zwar teilweise wieder an frühere Erfolge angeknüpft werden, doch zum
Ende des Jahrzehnts begann das langsame Verschwinden der Völkerschauen als Massenphänomen. Wiederbelebungsversuche
in den 1950er-Jahren scheiterten nicht zuletzt am mangelnden Publikumsinteresse. Der Film
und später der aufkommende Ferntourismus ersetzten zunehmend die Völkerschauen, ebd., S. 306-318.
6 Stephan Oettermann: Fremde. Der. Die. Das. „Völkerschauen" und ihre Vorläufer, in: Viel Vergnügen. Öffentliche
Lustbarkeiten im Ruhrgebiet der Jahrhundertwende, hg. von Lisa Kosok und Mathilde Jamin, Essen 1992,
S. 81-105, hier S. 92.
7 Siehe zu dieser Bezeichnung Anm. 3.
8 Mit der Eingrenzung des Völkerschaubegriffs auf die Völkerschauen Hagenbeckscher Prägung soll nicht gesagt werde,
dass nicht auch schon in früheren Jahrhunderten People of Color in Gruppen und zur Imitation außereuropäischen
Lebens zur Schau gestellt wurden. Dabei handelte es sich aber verglichen mit den ab dem Ende des 19. Jahrhunderts
stattfindenden Völkerschauen nur um vereinzelte, sporadische Erscheinungen. Siehe hierzu: Hilke Thode-Arora: Für
fünfzig Pfennig um die Welt. Die Hagenbeckschen Völkerschauen, Frankfurt a.M. 1989, S. 19-22.
9 Carl Hagenbeck: Von Tieren und Menschen. Erlebnisse und Erfahrungen, Berlin 1909, S. 82; Freiburger Zeitung
vom 21.10.1894, 2. Blatt, S. 3.
124
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2012/0126