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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
131.2012
Seite: 126
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material' vor Ort und ihre Forschungsergebnisse' wiederum bestätigten die Authentizität des
Gezeigten und verhalfen dadurch den Schauen zu weiterer Öffentlichkeit und bürgerlicher
Akzeptanz. Auch in Freiburg nutzten Anthropologen bei einer Völkerschau die Gelegenheit.16
Sie vermaßen und begutachteten u.a. die Kopfform, die Züge und Farbe des Gesichts, die
Haare und den Körperbau von sieben Darstellern der ,Singhalesen-Karawane', wobei ihnen
bereits der erste Blick zeigt[e], daß [sie] den Vertretern einer verhältnismäßig civilisierten
Race gegenüberstanden. Des Weiteren stellten die Anthropologen fest, dass die
Schlangenbeschwörer, welche sich bei den Aufführungen zeigen, [...] keine Singhalesen sondern
Indier waren und die Zwergin dem Tamil-Stamm angehöre. Da es sich jedoch bei den
anderen Darstellern, wie die Messungen ergaben, tatsächlich um ,echte' Singhalesen handelte
, wurde eine derartige Abweichung weder von dem Publikum noch von den Wissenschaftlern
als negativ beurteilt. Nicht nur der Vergnügungsaspekt der Völkerschauen blieb diffus
, sondern auch die behauptete Authentizität und Belehrung. Für das Publikum und damit
für die gewinnorientierten Veranstalter war der Schein wichtiger als das Sein. Weder durfte
die Unterhaltung fehlen, noch durften die Erwartungen enttäuscht werden. Das Publikum
wollte die kolonialen , Anderen' so sehen und erleben, wie es sie aus Texten, Bildern und Vorträgen
,kannte'. Die Völkerschauen beruhen auf einem kolonial-rassistischen Stereotypenkreislauf
, bei dem durch Werbung und Inszenierung beim Besucher bereits überkommene
Vorstellungen aus dem kolonialen Diskurs aktiviert und im Verlauf der Darbietung bestätigt
wurden. Zugleich regte dies beim Publikum die Bildung neuer Klischees an, die wiederum die
Völkerschauveranstalter aufgriffen. Anstatt die Vielfalt der außereuropäischen Kulturen darzustellen
, wurden die Darsteller großen ,Völkergruppen' zugeordnet. „Fast der gesamte afrikanische
Kontinent musste sich einem einzigen Bild beugen und die vielen unterschiedlichen
, Indianer'-Stämme mussten dem einen von Karl May geprägten Klischee entsprechen. An die
Stelle kultureller Vielfalt traten einige wenige Stereotypen."17 Die entsprechend dem Stereotypenkreislauf
organisierten Völkerausstellungen wurden als authentisch erachtet, weil sie die
vorgefassten Meinungen bestätigten. Solange die ,Indianer' wie bei Karl May beschrieben
aussahen, zweifelte man deren Echtheit nicht an (Abb. 1).

Dennoch konnten sich Hagenbeck und seine Konkurrenten durch ihren Authentizitätsanspruch
als Gegenentwurf zu den ,unseriösen' Jahrmarktsbuden und ihrem zweifelhaften Ruf
etablieren. Die Nachfrage nach derartigen Unterhaltungsgeschäften stieg im Laufe des 19.
Jahrhunderts stark an. „Doch da die Importe wirklich Wilder, zumal für die Schaustellung in
der Provinz, weit hinter der Nachfrage zurückblieben, begannen clevere Schausteller, die
Wilden künstlich herzustellen."18 Hierzu verkleidete und schminkte man Weiße als ,Exoten',
was jedoch des Öfteren enttarnt wurde. Die Jahrmarktsbuden waren aber nicht nur aufgrund
der fraglichen Herkunft der Darsteller in Verruf, auch deren Inszenierung erschien vielfach als
zu unglaubwürdig, wie sich z.B. in zwei Berichten zur Freiburger Herbstmesse deutlich zeigt.
So werden bei einem Rundgang über die Herbstmesse 1900 sogen. Menschenfresser bei
Jennes Reitbahn erwähnt, die zwar wüsten Lärm machen aber nicht allzu gefährlich aus-

16 Die Namen der Anthropologen sind nicht bekannt. Es dürfte sich aber um Freiburger Wissenschaftler gehandelt
haben. Ihre ,Resultate' übermittelten sie der lokalen Presse, Freiburger Zeitung vom 27.04.1888, S. 3 und
Breisgauer Zeitung vom 27.04.1888, Tagesausgabe, S. 2.

17 Anne Dreesbach: „... alles ... was nach Karl May zu einem richtigen Indianer gehört..." - Eine kurze Einführung
in Geschichte und Inhalt von Völkerausstellungen, in: Das Somali-Dorf in Oldenburg 1905 - Eine vergessene
Kolonialgeschichte?, hg. von Mamoun Fansa, Oldenburg 2005, S. 39-50, hier S. 48. Siehe für die Freiburger
Schauen z.B. Freiburger Bote vom 28.10.1910, 3. Blatt, S. 1, und Freiburger Zeitung vom 14.07.1930, 2.
Abendausgabe, S. 2.

ig Oettermann (wie Anm. 6), S. 90. Stephan Oettermann geht gar davon aus, dass der Großteil der „Wilden, die in
der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts die deutschen Jahrmärkte bevölkerten [...]- vermutlich die besten und wildesten
, die fremdesten Fremden - gefälscht gewesen" seien, denn es liege gerade in der Natur des Fremden, „daß niemand
so recht beurteilen kann, was denn ein Fremder ist und wie er aussieht", ebd., S. 90f.

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