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diesen um Völkerschauen oder um rein akrobatische und artistische Darbietungen handelte. Sie
in ihrer Gesamtheit als reine „Exotennummern, die mit der Artistik das Flair ferner Länder in
die Manege brachten", zu verstehen, würde zu kurz greifen.69 So lassen sich sowohl die ,Indianer
' (1930) als auch viele der , Exotennummern' aufgrund ihrer Inszenierung und Wahrnehmung
dem Genre der Völkerschau zuordnen. Bei beiden überwog der anthropologisch-ethnographische
Aspekt.
Die ,Indianer' wurden in der Werbung als eine Gruppe echte[v] Sioux-Indianer bezeichnet, die
unter ihrem Häuptling White Buffalo, neben dem bereits erwähnten großen Indianerballett, große
Wild-Westszenen und ihre heimatlichen Gebräuche aufführten. Sie waren somit ,echte Indianer',
da Sarrasani sie vor einiger Zeit über den Atlantischen Ozean, aus Nordamerika, hatte holen lassen
.70 Bereits in den USA wurden sie durch ihre Impresarios und Vermittler entsprechend dem
,Indianer'-Bild Karl Mays kostümiert und ausgestattet: „Federschmuck, Perlenstickereien,
Lederhosen, Tomahawks, Pfeil und Bogen, Zelte, Lagerfeuer."71 Um das Interesse der Zuschauer
und die Glaubwürdigkeit zu steigern, erschien in der lokalen Presse ein Bericht über den angeblichen
Verlauf der Anwerbung. Hier erfuhren die Leser im Stile einer Abenteuergeschichte, wie
Sarrasani seine Cowboys in die Jagdgründe des Häuptlings White Buffalo schickte, um ihn und
seine Krieger, Medizinmänner, Tänzer, Frauen und Kinder nach Deutschland zu holen.72 Bei der
Wildwestschau führte „ White Buffalo "[...] mit seinen roten Brüdern Kriegstänze aw/[und] überfällt
Postkutschen. Cowboys werfen Lasso, reiten wie die wilde Jagd durchs Zelt: echter
Wildwestbetrieb, wie wir ihn uns nicht schöner in unsern Jugendträumen vorstellten.11. Neben der
eigentlichen Vorstellung im Rahmen des Zirkusprogramms mussten die ,Indianer' in einem auf
dem Zirkusgelände aus mehreren Wigwams errichteten ,Indianerdorf' indianisches'
Familienleben mimen und sich bei ,typischen' Alltagshandlungen, die Männer Pfeife rauchend,
die Frauen mit Handarbeiten beschäftigt, bestaunen lassen (Abb. 6).74 Eine derartige Inszenierung
des alltäglichen Lebens' stellte im Bezug auf die weiteren Gruppe von People of Color im Zirkus
Sarrasani eine Ausnahme dar, diese waren nicht in ,landestypischen Behausungen' untergebracht,
sondern wie die anderen Darsteller und Angestellten in den Zirkuswohnwagen. Nichtsdestotrotz
waren auch sie abseits der eigentlichen Vorführungen den Blicken der Zuschauer, die einen
Einblick in das Privatleben der ,exotischen Anderen' erhalten wollten, ausgesetzt.
Die eigens genannten Gruppen von People of Color wurden zwar meist als Artisten oder
Künstler vorgestellt, doch das von ihnen Gezeigte wurde nicht als eine einstudierte Zirkusnummer
verstanden, sondern als Ausdruck ihre[r] Heimatkünste und ihre[r] Wesensart.15
Aus diesem Grund präsentierte man Marokkaner als verwegene Springer, Chinesen als Zauberer
69 Ernst Günther: Sarrasani. Wie er wirklich war, Berlin 21985, S. 60.
70 Sarrasani's Illustrierte, 25. Jahrgang, Nr. 582, S. 3. Die Illustrierte wurde von der ,Propaganda-Abteilung' des
Zirkus entworfen und vertrieben. Neben Hans Stosch-Sarrasanis Werdegang, Informationen zum Programm sowie
mehreren Fotos zu verschiedenen Aspekten enthält die Illustrierte auch Zitate von politischen und kirchlichen
Persönlichkeiten, die den besonderen edukativen Wert des Zirkus betonen. Ein Exemplar dieser Ausgabe findet
sich in einer Akte der städtischen Hauptverwaltung, StadtAF, C4/XIV/20/2.
71 Günther (wie Anm. 69), S. 65.
72 Breisgauer Zeitung vom 27.06.1930, 2. Blatt, S. 2, und Freiburger Zeitung vom 4.07.1930, 1. Morgenausgabe, S.
2. Der Artikel, der in zwei Zeitungen wortgleich erschien, dürfte aus der Feder der ,Propaganda-Abteilung' des
Unternehmens stammen. Diese versorgte die Freiburger Presse nicht nur mit Berichten, sondern lud sie bereits
vorab zum Offenburger Gastspiel ein, Freiburger Zeitung vom 14.07.1930, 2. Abendausgabe, S. 2.
73 Freiburger Zeitung vom 15.07.1930, 2. Abendausgabe, S. 1. Eine derartige Inszenierung war weder ein Bruch mit
dem Völkerschaugenre noch eine Besonderheit von derartigen Schauen im Zirkus. Auch bei einer ,Oglala-Sioux'
Völkerschau Hagenbecks wurden unter anderem ein Pferderaub, ein Postkutschen-Überfall und eine Skalpierung
inszeniert. Als Vorbild für derartige Inszenierungen bei Hagenbeck und Sarrasani gilt „Buffalo Bill's Wild West
Show", Dreesbach (wie Anm. 2), S. lOOf.
74 Freiburger Zeitung vom 17.07.1930, 1. Morgenausgabe, S. 2.
75 Sarrasani's Illustrierte, 25. Jahrgang, Nr. 582, S. 14.
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