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diese, um den eigenen kommerziellen Erfolg zu steigern. Allerdings hinterließ die deutsche
Kolonialpolitik in einem Programmpunkt des ,Senegalesen-Dorfs' ihre Spuren: Obwohl die
Völkerschaugruppe aus einem unter französischer Kolonialherrschaft stehenden Gebiet kam,
ließ deren Impresario zur Freude des Publikums die Kinder in der inszenierten Schulstunde fleißig
die deutsche Nationalhymne {„HeilDir im Siegerkranz") singen, was in der Zeitung positive
Erwähnung fand.82
Die kolonialen Aspekte der Völkerschauen erschöpften sich jedoch nicht in ihren direkten
Bezügen zum deutschen Kolonialismus. In ihnen wurden koloniale-rassistische Blickverhältnisse
eingeübt und verfestigt, welche die People of Color als unterlegen darstellten und damit die koloniale
Asymmetrie rechtfertigten.83 Der Erwerb und der Ausbau überseeischer Besitzungen gingen
mit der Herausbildung einer „kolonialistischen Kultur" einher, die das Vorhaben durch „rhetorische
Muster und diskursive Regelmäßigkeiten" strukturierte.84 Im kolonialen Diskurs definierten sich
die Europäer entgegen dem kontrastierten Bild des ,Anderen' als moralisch, technisch sowie kulturell
und/oder rassisch überlegen und rechtfertigten dadurch den Kolonialismus als eine zivilisatorische
' Mission. Die zur Zeit der Völkerschauen vorherrschenden Meinungen über ,fremde'
Kulturen waren von dieser kolonialen Dichotomie geleitet. Für die meisten Menschen in
Deutschland war das koloniale Projekt zunächst „eine Angelegenheit der Bilder, der Projektion und
der Phantasie".85 Die Völkerschauen machten den abstrakten kolonialen Diskurs für ein Mas-
senpuplikum erfahrbar und wurden dadurch zu „äußerst wirksame[n] Medien zur Formierung und
Verfestigung stereotyper Vorstellungen über fremde Kulturen"86 und damit zu einer zentralen
Institution der kolonialistischen Kultur. Hierbei waren die Völkerschauen für die meisten Europäer
der erste persönliche Kontakt mit den kolonialen ,Anderen', die für sie durch den kolonialen Diskurs
bereits mit Faszination und Schrecken, Bedrohung wie Sehnsucht besetzt waren. Dies versuchten
die Schauen durch die gleichzeitige Befriedigung der exotisch-romantischen Phantasien
und des Überlegenheitsanspruchs zum Ausdruck zu bringen. So lassen sich aus den Berichten über
die in Freiburg gastierenden Gruppen teils eine anziehende Wirkung, teils Abwertung der
Darsteller und ihrer ,typischen' Kultur herauslesen. So wurde z.B. bei den ,Singhalesen' ihr
Geschick, Tiere für sich nutzbar zu machen und ein praktisches Verkehrsmittel entwickelt zu haben,
gelobt und bewundert. Zugleich bezeichnete man aber ihren Tanz als Teufelstanz, den sie in wild
fanatischer Weise ausführen würden.87 Ebenso ist der Bericht über das ,Senegalesen-Dorf gespalten
zwischen der Faszination für die ,edlen Wilden', die bei bunter Lagerfeuer-Herrlichkeit beisammensitzen
, und dem Abscheu über die schrecklichen und primitiven Wilden' des Negerdorfs,
in welchem der an Sauberkeit gewöhnte Kulturmensch [...] allerlei entdeckt}* Die ,Indianer' wurden
einerseits als die tapferen Helden im Stile Karl Mays inszeniert, andererseits wurde jedoch
dringend ersucht, den Sioux-Indianern [...] keinen Alkohol verabreichen zu wollen. Sie besitzen
alkoholischen Getränken gegenüber gesundheitlich keinerlei Widerstandskraft und neigen außerdem
nach dem Genuß schon geringer Mengen zu den schwersten Exzessen}9
Freiburger Tagblatt vom 24.10.1910, Tagesausgabe, o.S.; Freiburger Bote vom 28.10.1910, 3. Blatt, S. 1.
Dass überhaupt People of Color in Zoologischen Gärten, auf Jahrmärkten und in Zirkussen zur Schau gestellt werden
konnten, war bereits Ausdruck der kolonialen Asymmetrie, die auch die Arbeitsbedingungen der Darsteller
bestimmte. Zwar kamen die meisten Völkerschaudarsteller ohne physischen Zwang und vielfach mit einem
Arbeitsvertrag nach Europa, jedoch waren sie enorm belastenden Arbeitsbedingungen sowie einer entwürdigenden
Behandlung ausgesetzt. Ihre vergleichsweise niedrig angesetzten Löhne wurden oft nur teilweise oder gar
nicht ausgezahlt, siehe Thode-Arora (wie Anm. 8).
Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte, München 2008, S. 12.
Ebd., S. 88.
Dreesbach (wie Anm. 2), S. 14.
Breisgauer Zeitung vom 20.04.1888, Tagesausgabe, S. 2.
Freiburger Bote vom 28.10.1910, 3. Blatt, S. 1.
Breisgauer Zeitung vom 14.07.1930, 1. Blatt, S. 3.
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