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Der Kontakt zwischen Darstellern und Publikum im Rahmen der Völkerschau war keine
Begegnung im eigentlichen Sinne und verlief in festen Bahnen. 1885 versprach zwar der
Veranstalter der ,Congo-Neger-Truppe' den Freiburgern, dass die Schau die Möglichkeit biete,
die neuen Landsleute [...] kennen zu lernen. Doch dieses kennenlernen' bestand lediglich in
einem voyeuristischen Betrachten der Gruppe. Die Zuschauer sollten eine genußreiche Unterhaltung
haben, indem sie die kolonialen , Anderen' entsprechend des Stereotypenkreislaufs bei
unterhaltsamen Vorführungen und (indiskreten) Einblicken ins Privatleben beobachten konnten.
Unterbrechungen des voyeuristischen Schauens und tatsächliche Interaktionen zwischen
Darstellern und Zuschauern sollte es prinzipiell nicht geben bzw. sich auf kommerzielle Handlungen
wie z.B. dem Verkauf von Völkerschaubroschüren im , Senegalesen-Dorf beschränken.91
Die aus den kommerziellen Erwägungen der Veranstalter inszenierten Blickverhältnisse und
produzierten Bilder waren nicht neutral und unschuldig, sondern von kolonialen Machtstrukturen
durchzogen, die sie fortschrieben und verfestigten, indem sie durch die „Organisation des
Blicks eine Ordnung des Wissens herstellten".92 Die Faszination an den Völkerschauen, die das
,Fremde' und ,Exotische' als vermeintlich authentisches visuelles Spektakel in Szene setzten,
beruht vor allem auf dem Erlebnis von ,rassischer' und ethno-kultureller Differenz. „Für den
Besucher lag der Reiz nicht in der Identifikation, sondern in der Abgrenzung zu dem ,Wilden',
dem Gegenbild zum ,Weißen', der sich selbst als superiorer Kulturträger gerierte."93
Dementsprechend betraten die Freiburger Zuschauer, nachdem sie den Obolus an der Kasse entrichtet
hatten, einen geografisch und kulturell anders markierten Raum: den schwarzen Erdteil,
das afrikanische Lager, das wundersame Land, das um tausende Meilen nahegerückt war oder
Sarrasanis Revue der Welt, wo die Völkerscharen aller Kontinente in friedlicher Koexistenz
anzutreffen waren.94
Indem die kolonialen , Anderen' in den Völkerschauen als unterlegen und primitiv erschienen,
rechtfertigte dies nicht nur die koloniale Asymmetrie, sondern auch deren Vereinnahmung im
Rahmen der Schau. Hier mussten die Darsteller ihr ,Privatleben' - trotz der unangenehmen klimatischen
Bedingungen und entgegen der zu der Zeit vorherrschenden Sittlichkeitsnormen nur
knapp bekleidet - dem Publikum vorfuhren. So herrschte beim Gastspiel des , Senegalesen-
Dorfs' eine Temperatur, die dich daran erinnert, den Mantelkragen hochzuschlagen, während
die kleinen, armen Negerlein [...] barfüßig, mit nackten Armen, teils ratzekahl geschoren, auf
dem Boden kauerten und nur in einem heimatlichen, wollenen Hemdensack steckten. Wagte es
jedoch ein Darsteller, sich europäisch zu kleiden und sich damit seiner Vereinnahmung als
,Exot' und dem kolonialen Blickregime zu widersetzen, so galt er als Dandy, der dem Zuschauer
den Besuch des Negerdorfes versagen möchte.95 Die in den Völkerschauen zu sehenden People
of Color waren ethnographische Kostbarkeiten, die sich entsprechend den Erwartungen der
Europäer zu fugen hatten.96 Hierdurch verdeutlichten die Völkerschauen lokal die koloniale
Asymmetrie, die es ,den Europäern' global erlaubte, diese ,Anderen' entsprechend ihrer kolonialen
Interessen auszulöschen, auszubeuten, zu zivilisieren oder entsprechend ihrer exotischen
' (Sehnsuchts-)Bilder zu konservieren. Die historische Aufarbeitung von Völkerschauen in
Freiburg ist somit ein lokal- aber auch globalgeschichtliches Projekt.
90 Freiburger Zeitung vom 18.10.1885, Tagesausgabe, S. 4.
91 Freiburger Bote vom 28.10.1910, 3. Blatt, S. 1.
92 Susan Lewerenz: Völkerschauen und die Konstituierung rassifizierter Körper, in: Marginalisierte Körper. Zur
Soziologie und Geschichte des anderen Körpers, hg. von Imke Schmincke, Münster 2007, S. 135-153, hier S. 137.
93 Joachim Zeller: Weiße Blicke - Schwarze Körper. Afrika im Spiegel westlicher Alltagskultur, Erfurt 2010, S. 145.
94 Freiburger Bote vom 28.10.1910, 3. Blatt, S. 1; Freiburger Zeitung vom 25.10.1900, Tagesausgabe, S. 3; Freiburger
Zeitung vom 26.04.1888, Tagesausgabe, S. 3, und Freiburger Zeitung, vom 15.07.1930, 2. Abendausgabe, S. 1.
95 Freiburger Bote vom 28.10.1910, 3. Blatt, S. 1.
96 Freiburger Zeitung vom 4.07.1930, 1. Morgenausgabe, S. 2.
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