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nung"17, wobei während der Wahlkämpfe unterschiedliche Formen der politischen Kommunikation
und Steuerung vorkommen (können). Wahlkampagnen eigentümlich sind Tendenzen der
Polarisierung und Personalisierung, und eben solche ließen sich auch im Herbst 1982 in
Freiburg beobachten.18
An kontroversen Wahlkampfthemen fehlte es nicht - und auch nicht an manchen aus dem
Umfeld der Kandidaten verbreiteten Invektiven, etwa im Hinblick auf die Wahlkampfunter-
stützer des einen („Bauunternehmer") oder die Charakterisierung des anderen („Kommunistenfreund
"). Gewichtiger und für die Stadtpolitik bedeutsamer waren indes Fragen und Probleme
elementarer und zugleich politisch konkreterer Natur. Bei einem Diskussionsabend im „Liberalen
Zentrum", dem freilich die meisten Freiburger FDP-Mitglieder fern blieben, standen
Aufgaben der Wohnungspolitik, der Gestaltung des Bahnhofvorplatzes und des Baus der „B 31-
Ost neu" im Mittelpunkt - und besonders bei letzterem Projekt die Präsentation unterschiedlicher
Lösungsvorschläge. Wobei bei diesem Streitpunkt eine singuläre Meinung von dem dritten
Oberbürgermeister-Kandidaten, dem Rechtsanwalt Gottfried Niemitz (Bunte Liste), vertreten
wurde, der für eine Untertunnelung von Kirchzarten bis zum Zubringer Mitte plädierte, für
diesen Vorschlag aber keine Unterstützung fand.19 Einem journalistischen Kommentar zufolge
war der Ertrag der Veranstaltung für die Zuhörer nicht gering: Sie lernten offensichtlich die
Kandidaten besser kennen, ihre Argumente ebenso wie ihre Wahltaktik, besonders die
jeweils gegenseitige „Einschätzung".20
Außerdem kamen neben eher traditionellen auch neuere, „innovative" Elemente der
Wahlwerbung zum Einsatz, so etwa auf Seiten der Sozialdemokraten eine Wählerinitiative
„Bürger für Böhme" (mit rund 50 Mitgliedern), welche diesen in kritischer Solidarität unterstützten
und zu diesem Zweck, nach den Worten eines Gruppensprechers, des Politikwissenschaftlers
Gerd Mielke, besonders in den östlichen Stadtteilen Bürger, die sich liberalen
Werten und ökologischen Grundsätzen verpflichtet fühlten, zu einer entsprechenden Stimmabgabe
motivieren wollten.21 Auch modernere „Formate" der politischen Werbung unter Einschluss
„unterhaltender" Momente fanden Eingang in den Wahlkampf, vor allem im Rahmen der Böhme-
Kampagne: So z.B. eine Talk-Show-ähnliche Veranstaltung in der Gaststätte „Neumeyer", mode
17 Ulrich Sarcinelli: Wahlkampf, in: Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland,
hg. von Uwe Andersen und Wichard Woyke, Bonn 52003, S. 686f.
18 Ebd., S. 689.
19 ROB: Drei Kandidaten an einem Tisch, in: BZ vom 3.6.1982.
20 Für Ulrich Homann: Konturen, in: ebd., lag ein weiterer Ertrag des „direkten Aufeinandertreffens" der OB-
Kandidaten darin, dass die Zuhörer und - über die Medien vermittelt - die Bürger der Stadt überhaupt neben politischen
Inhalten auch wahltaktische Überlegungen wahrnehmen konnten: Rolf Böhme offenbarte, dass er seine Chancen
ganz bewusst in der Konfrontation mit seinem Widersacher auf CDU-Seite, Sven von Ungern-Sternberg, suchen will.
Wo Böhme Angriffsflächen gegeben erscheinen, da wird er attackieren und dabei nicht zimperlich sein. Die Tatsache,
dass der CDU-Kandidat als Baubürgermeister in den Wahlkampf zieht, will Böhme so verwerten: Der Gegenkandidat
soll keinen Amtsbonus genießen, sondern einen „Amtsmalus", verantwortlich für Planungsfehlerund Planungsversäumnisse
. Von der Angriffslust des Rolf Böhme wiederum scheint Ungern-Sternberg profitieren zu wollen
. Er will sich vorderhand als Sachwalter einer nach seiner Meinung bewährten Freiburger Kommunalpolitik
darstellen, nicht ganz verschlossen für Neues, aber doch erkennbar in der Kontinuität der derzeitigen
Stadtverwaltung. Die sich anbahnende Konfrontation wird Unterschiede aufzeigen - und das kann dem Wähler
nur recht sein. Auf freundliche Atmosphäre zwischen den Kandidaten von CDU und SPD dagegen wird er verzichten
müssen - es geht wohl um zuviel.
21 Ulrich Homann: Freiburger Bürger wollen sich für Böhme einsetzen. Gründung einer Wählerinitiative, in: BZ
vom 9.6.1982. Über Böhmes Wahlkampfaktivitäten informiert sein wichtigster „Wahl-Berater" Gerd Mielke: Das
diskursive Schlachtross, in: Über Jahr und Tag. Rolf Böhme - Drei Jahrzehnte politischer Verantwortung, hg. von
der Stadt Freiburg und Joseph Pölzelbauer, Freiburg 2002, S. 162-167. Nach seiner Tätigkeit am Seminar für
wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg war Gerd Mielke u.a. Leiter der Abteilung „Grundsatzfragen
und Regierungsplanung" in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz; seit 2004 Professor am Institut für Politikwissenschaft
der Universität Mainz (http:www.nrw School.de/xd/public/content/index.html?pid=248).
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