http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2012/0184
flikt austrage. Die Neuwahl des Bundestags sollte nach Kieps Auffassung im März 1983 stattfinden
- was dann auch geschah.29
Helmut Schmidt in Freiburg
Für Langeweile blieb dem am 1. Oktober 1982 abgewählten Kanzler keine Zeit - auch wenn
ihm seine Ex-Minister keine handgeschriebenen Seiten aus dem Telefonbuch zur Gegenzeichnung
vorlegten. Für einen ehemaligen Staatssekretär war es indessen nicht von Nachteil,
wenn er die nicht allgemein zugängliche Rufnummer seines früheren „Chefs" kannte: In der
Befolgung eines Ratschlags aus seinem Beraterkreis, vornehmlich zweier Patres des Dominikaner
-Ordens, beide „linksliberal eingestellt und - von der Kirche geduldet - Verfechter einer
sozialliberalen Politik", rief Rolf Böhme in der Bundeshauptstadt an: „Helmut Schmidt war
damals noch im Kanzler-Bungalow in Bonn und ich kannte die Durchwahl. Er meldete sich persönlich
am Apparat: ,Hier Schmidt' Am liebsten hätte ich wieder aufgelegt, aber jetzt war es
passiert und ich nannte meinen Namen. Er fragte ohne große Umschweife: Wie ist das Ergebnis?
Ich berichtete und trug dann mein Anliegen vor. Er sagte sofort zu und beschied mich, wie
immer kurz und klar: Die Einzelheiten wegen des Termins usw. regelst Du mit meinem Büro."30
Damit war sicher: Neben der Weiterfuhrung des „normalen" kommunalpolitischen Wahlkampfs
mit „traditionellen" Elementen und Aktivitäten wie Hausbesuchen, Verteilen von Flugblättern,
Veranstaltungen in den einzelnen Stadtteilen würde nunmehr die nochmals verstärkte bundespolitische
Akzentuierung der Auseinandersetzung für die endgültige Entscheidung von erheblicher
Bedeutung sein.
14. Oktober 1982: Helmut Schmidts Rede auf dem Freiburger Münsterplatz verfolgten rund
15.000 Zuhörer. Die Befürchtung der Veranstalter, das schlechte Wetter werde viele Stadtbewohner
von einem Besuch abhalten, bewahrheitete sich nicht. Die aktuelle „Großwetterlage"
in Bonn einerseits, der Wahltermin in Freiburg andererseits bewirkten offensichtlich eine sichtbare
politische Mobilisierung innerhalb der städtischen Gesellschaft. Die Ausführungen des ExKanzlers
hatten selbstverständlich überwiegend Themen der „großen Politik" zum Gegenstand
.31
In der „Wirtschaftspolitik" sei durch die neue Regierung eine Umverteilung von unten nach
oben angesagt, z.B. infolge von Steuererleichterungen für Besserverdienende; insgesamt führe
die Politik des Kabinetts, im Übrigen die teuerste Bundesregierung seit 1949, zu einer Erhöhung
der Staatsschulden.
In der „Innenpolitik" sollte es, nachdem der Kanzler- und Regierungswechsel auf krummem
Weg erfolgt sei, möglichst rasch eine Neuwahl des Bundestags geben, doch sei an einer entspre-
29 Ulrich Homann: Leisler Kiep unterstreicht die Bedeutung der OB-Wahl. Abschlußveranstaltung von Ungern-
Sternberg im Paulussaal, in: BZ vom 14.10.1982; N.N.: Leisler Kiep: „Ungern-Sternberg Oberbürgermeister für
Freiburg", in: Freiburger Wochenbericht vom 15.10.1982 (Sonderausgabe zur OB-Wahl am 17. Oktober 1982).
Biographische Daten zu Walther Leisler Kiep in: Viehaus/Herbst (wie Anm. 7), S. 415. Im Übrigen scheint die
- persönliche und politische - „Distanz" zwischen Schmidt und Leisler Kiep nicht allzu groß gewesen zu sein. Der
ehemalige Kanzler zählte den Christdemokraten zu den Menschen, „deren klare Linie ich zu schätzen wusste",
Helmut Schmidt: Außer Dienst. Eine Bilanz, München 52010, S. 17.
30 Böhme (wie Anm. 14), S. 11, der auch schildert, wie er dieser Idee zunächst nicht viel abgewinnen konnte: „Ich
kannte die Bonner Stimmung und vor allem auch die menschliche Lage des langjährigen Bundeskanzlers unmittelbar
nach seinem Amtsverlust. Keinesfalls wollte ich diese Situation noch mit meiner OB-Geschichte belasten.
Also lehnte ich diesen Vorschlag, Helmut Schmidt zu ,holen', ab." Böhmes Frau „fand dann den richtigen Ton:
,Du kannst doch Helmut Schmidt selbst entscheiden lassen, ob er kommen will oder nicht.'"
31 Über die Schmidt-Rede auf dem Freiburger Münsterplatz wurde ausführlich in der Presse berichtet: Wieselmann
(wie Anm. 25); Karl Otto Sattler: Schmidt zweifelt an Neuwahlen. In Freiburg scharfe Kritik an
„Umverteilungspolitik", in: BZ vom 15.10.1982; Ulrich Homann: Etwa 15.000 kamen zu Helmut Schmidt. Der
Ex-Kanzler bekundete auf dem Münsterplatz sein Vertrauen zu Rolf Böhme, in: ebd.; Bettge (wie Anm. 24);
Zurbonsen (wie Anm. 24).
182
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2012/0184