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Augenscheinlich hatte Schmidts Auftritt in Freiburg die „Funktion", neben der Werbung für
einen Oberbürgermeisterkandidaten der eigenen Partei eine Art „lokales Plebiszit" über den
wenige Tage zuvor durch „konstruktives Misstrauensvotum" praktizierten Kanzler- und Regierungswechsel
herbeizuführen.36 Diese Absicht blieb nicht ohne Erfolg (Abb. 2).
Zweiter Wahlgang: Die Entscheidung
Anders als von manchen erwartet endete „Runde zwei" am 17. Oktober 1982. Hatte den ersten
Wahlgang Bürgermeister von Ungern-Sternberg knapp, aber deutlich für sich entscheiden können
, so zeitigte der zweite Wahlgang (bei einer leicht stärkeren Beteiligung von 69,7 % der
wahlberechtigten Bevölkerung) nur noch eine Differenz von 577 Stimmen - jedoch bei gleichzeitiger
Umkehr der Reihenfolge der Kandidaten (Böhme: 40.632 Stimmen = 50,1 %, d.h. ein
Plus von 5.893 Stimmen; von Ungern-Sternberg: 40.055 Stimmen = 49,4 %, d.h. ein Plus von
1.611 Stimmen). Der sozialdemokratische Politiker wurde folglich mit geringem Vorsprung zum
Oberbürgermeister von Freiburg gewählt. Wahlanalysen gelangten zu dem Schluss, dass jeweils
ein Teil der Sympathisanten des anderen „Lagers" angesprochen werden konnte: „Beide
Kandidaten haben es verstanden, als politische Integrationsfigur, Wähler über die Grenzen der
jeweiligen Parteianhängerschaft hinaus auf sich zu vereinigen. Dr. v. Ungern-Sternberg hat in
den Wahlbezirken des Freiburger Westens, Dr. Böhme im bürgerlichen Lager beachtliche
Erfolge erzielt."37
Das Ergebnis der Freiburger Oberbürgermeisterwahl fand große Aufmerksamkeit - natürlich
in der Stadt selbst, aber auch darüber hinaus, in der Region sowie in der überregionalen Presse.
Von einer „Sensation" war in den Zeitungen die Rede, eine „Freiburger Überraschung" wurde
gemeldet, auch davon gesprochen, dass der Wähler in Freiburg unberechenbar ist. Wieder einmal
hat er sich eigenwillig gegen den allgemeinen christdemokratischen Trend auf den Rathäusern
gestemmt?* Ein ganzes Bündel von Ursachen wurde für dieses Wahlverhalten ausfindig
gemacht. Die leichte Zunahme der Wahlbeteiligung wirkte sich ebenso aus wie der offensichtlich
effektivere Wahlkampf der Sozialdemokraten, während die CDU - nach Einschätzung
eines Journalisten - sich in persönliche Sticheleien und öffentliche Richtigstellungen per
Inserate und Flugblätter verzettelt habe.39 Vielleicht stärker noch wirkte der politische „Gegen-
Amerika über den späteren NATO-Doppelbeschluss ausfechten müssen, von dem man am Anfang nicht weiß, wie
er ausgeht [...] Angenehm ist das nicht, Macht zu haben. Sehr schön ist es, wenn Sie eine Steuerermäßigung
durchfuhren können. Oder die Renten erhöhen", Helmut Schmidt: Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung,
dem Volk eine Philosophie zu geben, in: Der Zauber des Denkens. Gespräche über Philosophie, hg. von Siegfried
Reusch, Darmstadt 2012, S. 104.
Schreiben Bettina Wieselmann vom 10.5.2012.
Mielke/Tressel (wie Anm. 26), S. 40; die Ergebnisse des zweiten Wahlgangs, ebd., S. 13. Wer im übrigen einen
weiteren Zahlenvergleich anstellte, bemerkte, dass genau 20 Jahre zuvor Oberbürgermeister Keidel im ersten
Wahlgang mit einem ähnlich geringen Abstand - von 615 Stimmen - gegen seinen CDU-Konkurrenten Gerhard
Graf vorn lag, in der Tat „eine seltsame Duplizität", Hans Schneider: Freiburger G'schichten. Bericht aus einer
kleinen Großstadt, Freiburg 1985, S. 123.
Stuttgarter Zeitung, zit. nach: Pressekommentare zu Böhmes Wahlsieg, in: BZ vom 22.10.1982. Weitere Wahlanalysen
und Kommentare: Hermann Eisele: Böhme gewinnt überraschend in Freiburg, in: Stuttgarter
Nachrichten vom 18.10.1982; Elmar Reinauer: Höhere Wahlbeteiligung und Schmidts Einsatz verhalfen Rolf
Böhme zum Sieg, in: Südwest-Presse vom 19.10.1982; Hans Schneider: Rolf Böhme und die Gunst der Stunde,
in: Basler Zeitung vom 19.10.1982. FJS: Freiburger Trend, in: Süddeutsche Zeitung vom 18.10.1982; Günther
Gillessen: Freiburger Überraschung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19.10.1982; TÖ/LSW/AP: Bei
näherem Hinsehen wird Böhmes Sieg erklärbar, in: Schwarzwälder Bote vom 19.10.1982; UTE/FJS/BF: Da fielen
sich die Genossen um den Hals, in: Stuttgarter Zeitung vom 19.10.1982; Wolfgang Geigges: Was der Fall
Freiburg lehrt, in: Südkurier vom 20.10.1982; Ulrich Homann: Wahlerfolg „Sieg der Solidarität". Freiburger
SPD analysiert die OB-Entscheidung, in: BZ vom 25.10.1982.
Hermann Eisele: Böhme legte in CDU-Hochburgen zu. Die Freiburger sorgten erneut bei einer Oberbürgermeisterwahl
für eine Trendwende, in: Stuttgarter Nachrichten vom 19.10.1982.
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