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Glücksfall.41 Ohne diesen, so urteilte der ehemalige Landesjustizminister Rudolf Schieler (SPD),
hätte Böhme die Wahl nicht gewonnen, und dass Schmidt Stimmen für Böhme holte, stand auch für
Ex-Wissenschaftsminister Helmut Engler (CDU) außer Frage.43 Von Ungern-Sternberg selbst konnte
auf die Ankündigung der Rede Schmidts so wenig wie im „Fall" Wyhl angemessen reagieren -
aus Zeitgründen', wie auch hätte man die Wahlkampfstrategie noch ändern können?4* Allerdings
gab es, nach der Auffassung Gerd Mielkes, gleichsam im Hinblick auf das „Verursacherprinzip",
einen gravierenden Unterschied zwischen beiden Vorgängen: In jedem Fall war der Schmidt-
Besuch ein von Böhme selbst veranlasster „Knaller"; Wyhl war demgegenüber „nur" einer der
zahlreichen Fehler der anderen Seite45 Oder anders, zugespitzt, formuliert: Offensichtlich machte
„Stuttgart" einiges falsch, „Bonn" fast alles richtig.
Die Annahme, dass Rolf Böhmes Wahlkampf und Wahlergebnis in signifikanter Weise von
Schmidts Unterstützung profitierte, gewinnt zusätzlich an Plausibilität durch den Umstand, dass der
Ex-Kanzler später ebenfalls maßgeblich an den Erfolgen zweier weiterer politischer Weggenossen,
die sich in Baden-Württemberg um das Amt eines Oberbürgermeisters bewarben, Anteil hatte. In
Lörrach trat Schmidt zwar nicht selbst als Wahlredner auf, als Rainer Ofifergeld, von 1978 bis 1982
Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, sich im Frühjahr 1983 um das Amt des
Stadtoberhaupts in der Grenzstadt bewarb; aber eine an die Haushalte verteilte Wahlempfehlung
Schmidts war für das ehemalige Kabinettsmitglied augenscheinlich von großem Nutzen und half,
dass dieser zum Oberbürgermeister gewählt wurde.46 Und schließlich gewann im Februar 1986
Alexander Vogelgsang die Wahl zum Oberbürgermeister von Böblingen, nachdem Helmut Schmidt,
inzwischen schon einige Jahre politischer „Pensionär", der für seinen ehemaligen Mitarbeiter im
Bundeskanzleramt vielleicht entscheidende Wahlhelfer in der mit rund 2.000 Besuchern überfüllten
Feuerwehrhalle der Stadt war.47 Augenscheinlich spielte in allen Fällen, in denen Schmidt sich
aktiv-werbend für das kommunale Spitzenamt erstrebende Parteifreunde aus seinem engeren politischen
Umfeld öffentlich verwandte, die gegenseitige persönliche Zuverlässigkeit eine wichtige
Rolle, und so haben die neu gewählten Oberbürgermeister seine Unterstützung auch verstanden:
Schmidt setzte Kraft und Stimme ein, um Menschen zu unterstützen, die ihm politisch nah und wohl
auch sympathisch waren (Alexander Vogelgsang).
Zu dem Kanzler bestanden gute persönliche Beziehungen [...] auf Grund verschiedener
Arbeitskontakte, aber auch beruhend auf meiner Verehrung und Dankbarkeit ihm gegenüber
(Rainer Offergeid).
Schreiben Prof. Dr. Gerd Mielke vom 11.7.2012. Diesen „Zusammenhang" thematisierte auch Böhme (wie Anm.
14), S. 60: „Es war schwer zu ertragen, wie seit der Bundestagswahl 1980 die Kraft der sozialliberalen Koalition
dahinschwand. Aber es war ein zufalliges Zusammentreffen, dass im Herbst 1982 das Amt des Oberbürgermeisters
der Stadt Freiburg durch Pensionierung des Amtsinhabers frei wurde."
Telefoninterview mit Justizminister a.D. Dr. Rudolf Schieler vom 13.5.2012; Telefoninterview mit Wissenschaftsminister
a.D. Prof. Dr. Helmut Engler vom 4.6.2012 (wie Anm. 8). Telefoninterview mit Prof. Dr. Hermann
Schäfer vom 24.7.2012, wonach beide Kandidaten ursprünglich gleiche Erfolgschancen hatten, doch zuletzt war
für den Wahlausgang das ziemlich entscheidende Gewicht von Schmidt ausschlaggebend.
Interview mit Regierungspräsident a.D. Dr. Sven von Ungern-Sternberg vom 29.5.2012.
Schreiben Prof. Dr. Gerd Mielke vom 4.6.2012.
Schreiben Bundesminister a.D. Rainer Offergeld vom 28.5.2012. Zu Schmidts Wahlhilfen „in den Provinzen des
deutschen Südens" siehe Hans-Joachim Noack: Helmut Schmidt. Die Biographie, Berlin 2008, S. 241. Unrichtig
ist die folgende Feststellung, wonach „sich die Entscheidung nach dem von Freiburg her bereits bekannten Muster
[vollzog]. Helmut Schmidt wurde per Charterjet zu einer Wahlkampfveranstaltung vor dem entscheidenden zweiten
Wahlgang bei der in Süddeutschland üblichen Oberbürgermeister-Direktwahl eingeflogen, und Offergeld
gewann", Jochen Thies: Helmut Schmidt's Rückzug von der Macht. Das Ende der Ära Schmidt aus nächster
Nähe, Stuttgart 1988, S. 188.
Schreiben Oberbürgermeister a.D. Alexander Vogelgsang, Böblingen, vom 2.4.2012. Ferner Otto Kühnle: Ende
einer 24jährigen Dienstfahrt für BB, in: Kreiszeitung Böblinger Bote vom 31.12.2010. Bevor er zum Oberbürgermeister
gewählt wurde, war Vogelgsang Referatsleiter im Bundeskanzleramt, von 1983-1986 wirtschaftspolitischer
Berater Schmidts.
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