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brüdern in Luxeuil als liebevoll-spöttische Anspielung auf sein frühes Aufstehen vor dem Hahnenschrei
erhalten.
Stationen, Reisewege, Schauplätze und Machtträger sind die wichtigsten Stichworte der ersten Hälfte
des Werkes. Den zweiten Teil eröffnet der Verfasser mit den s.e. fünf Haupt-Charakteristika von Gallus,
um dann den Entwicklungsgang bis zum Leben in der Abgeschiedenheit zu beschreiben. Nicht fehlen darf
der berühmte Bär, der dem heiligen Mann im Walde diente und dafür Brot erhielt. Legende oder Wirklichkeit
? Schär entscheidet sich für einen psychologischen Wahrheitsgehalt des Motivs. Das letzte, 20.
Kapitel skizziert die starke Fernwirkung von Gallus bis in die jüngste Gegenwart. Damit schließt ein insgesamt
anregendes Erzähl- und Erbauungsbuch, in das nicht selten ein pastoraler Ton einfließt.
Eugen Hillenbrand
Vor aller Augen. Die Deportation der Juden und die Versteigerung ihres Eigentums. Fotografien aus
Lörrach, 1940, hg. von Andreas Nachama und Klaus Hesse (Topographie des Terrors. Notizen 1),
Hentrich & Hentrich Verlag, Berlin 2011, 103 S., zahlreiche Abb.
Der Publizist und Rabbiner Andreas Nachama aus Berlin hat mit dieser Publikation ein neues Projekt im
Rahmen der Stiftung „Topographie des Terrors" begonnen. Nachdem bereits 2002 in Berlin Fotos der
Deportation von Juden in Lörrach gezeigt worden waren, hatte das dortige Stadtarchiv 2010 - zum 70.
Gedenken - eine weitere Ausstellung hierzu gezeigt, jetzt aber ergänzt durch Bildmaterial von der
Versteigerung jüdischen Mobiliars der Deportierten. Dies war der Anlass für die neue Serie, die Nachama
zusammen mit dem Grafikdesigner und Historiker Klaus Hesse künftig zu lokalen Ereignissen weiterführen
wird. Nicht häufig werden sie allerdings so umfangreiches Fotomaterial vor allem zu Versteigerungen
vorfinden wie in der Basel benachbarten Grenzstadt Lörrach. Hier hatte ein Kriminalbeamter
die erschütternden Szenen fotografiert.
Einen geschichtlichen Abriss gibt wie in so vielen anderen Veröffentlichungen zur jüdischen
Bevölkerung der Historiker Uwe Schellinger. Zwar lässt sich nicht aktenmäßig belegen, dass die
Großdeportation nach Gurs im Südwesten Frankreichs von den Gauleitern Robert Wagner (Baden und
Elsass) und Josef Bürckel (Saarpfalz und Lothringen) angeordnet wurde, sie handelten jedoch mit der
ihnen von Hitler am 25. September 1940 erteilten Befugnis. Im Unterschied zur Verhaftungswelle nach
dem Novemberpogrom 1938 wurden nun auch Frauen und Kinder erfasst und alle jüdischen sozialen
Einrichtungen aufgelöst. Innerhalb von zwei Stunden mussten am 22. Oktober 1940 alle reisefertig sein.
Die etwa 6.500 Juden aus Baden und dem Saarland durften nur je 50 kg Gepäck und 100 RM mitnehmen.
Nur ein knappes Drittel von ihnen überlebten Hunger, Kälte und Krankheiten in den überfüllten und unterversorgten
Lagern in Gurs.
25 Fotografien zeigen die Deportation der jüdischen Bevölkerung in Lörrach, beobachtet von den meist
schweigend und teilnahmslos zusehenden Einheimischen (darunter mein Großvater). Die Aktion fand also
keineswegs heimlich, sondern in aller Öffentlichkeit statt. „Nüchtern und zurückhaltend'4 seien die Fotos,
wie Klaus Hesse bemerkt, der die Fotos kommentierte.
Ein völlig anderes Verhalten zeigen die 17 Fotos von der Versteigerung jüdischen Mobiliars. Die
Bevölkerung drängte sich geradezu darum, jüdischen Besitz für höchstens ein Fünftel des tatsächlichen
Werts zu erwerben. Offensichtlich machte man sich wenig Gedanken um das dahinterstehende Schicksal
der Juden, denn die Menschen sehen zum Teil lachend in die Kamera, ohne Scheu und Angst, sich dadurch
zu kompromittieren. Viel zu weit schon war die „Arisierung" fortgeschritten.
Die Bedeutung der „Eigentumsverschiebungen" und die Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben
untersuchte Jan Stoll. Nach der Reichspogromnacht gab es - nicht nur in Lörrach - keine jüdischen
Geschäfte und auch keine Juden mehr. Für die Bevölkerung war es daher ein Leichtes, deren Eigentum billig
und ohne schlechtes Gewissen zu ersteigern. Nur eines lässt sich nicht verdrängen: Sowohl die
Deportation als auch die Versteigerung jüdischen Eigentums fand „vor aller Augen" statt, es konnte sich
also keiner mit angeblicher Unkenntnis der Sachlage herausreden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass der
Großteil der Bevölkerung über das schreckliche Ende der meisten Juden Bescheid wusste.
Ursula Huggle
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