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Er ist der Herrscher über die ganze India Orientalis und Meridionalis und alle Könige sind
ihm unterworfen und in allen Bergen Indiens findet man wertvolle Steine aller Art und alle
Arten von Gewürzen. Diese mittelalterliche Legende geht auf den Geschichtsschreiber Otto
von Freising zurück, der in seiner Chronik im Jahre 1145 erwähnt: Vor wenigen Jahren habe
ein gewisser Johannes, ein König und Priester, der im äußersten Orient, jenseits von Persien
wohne, aber Nestorianer sei, zwei Brüder, die Könige der Perser und Meder, Samiarden genannt
, angegriffen und ihre Hauptstadt, das oben erwähnte Ekbatana, erobert [...]. Er [der
Priester Johannes] soll dem alten Geschlecht der Magier entsprossen sein, die im Evangelium
erwähnt werden und als Herrscher über dieselben Völker wie jene solchen Ruhm und Über-
fluss genießen, dass er sich nur eines smaragdenen Szepters bedienet
Auf der Halbinsel im Süden der India Meridionalis beschreibt Waldseemüller nach Marco
Polo das Königreich Murfili (Masipatam, Indien): In einigen dieser Königreiche findet man
wertvolle Diamanten, aber es ist gefährlich wegen der großen Schlangen, von denen es dort
eine Unmenge gibt; auch gehen die Menschen nach Regenfällen zu den aus den Bergen strömenden
Flüssen und finden, wenn die Flüsse kein Hochwasser mehr führen, im Sand Diamanten
. An der Südspitze wird die Bürgerschaft Coylu (Quilon, Indien) verzeichnet: Hier wohnen
Christen, Juden und Götzendiener; sie haben eine eigene Sprache, ihr König ist niemandem
tributpflichtig; sie besitzen jegliche Art von Gewürzen. In einer weiteren Legende wird das
Land Coylu beschrieben: In dieser Gegend ist es wegen der allzu großen Hitze mühsam zu
leben; in dieser Provinz gibt es viele Tiere, die sich von anderen Tieren unterscheiden. Dort
gibt es nämlich gänzlich schwarze Löwen [Panther], schneeweiße Papageien und Papageien
der verschiedensten Arten; sie besitzen mit Ausnahme von Reis keinerlei Getreide, aus Zucker
fertigen sie ein Getränk; sie laufen nackt umher, sie sind Ärzte und Astrologen und sind sinnlich
veranlagt. Murfili und Coylu, die in Wirklichkeit zu India intra Gangem gehören, werden
von Waldseemüller an der südostasiatischen Halbinsel, dem „Drachenschwanz4', angesiedelt.
Zwischen 10° und 30° wird im Oceanus orientalis Indicus, dem Pazifischen Ozean, die
Insel Zipanagri (Japan) dargestellt. Diese Insel ist vom großen Festland 1.500 Meilen entfernt
und sehr groß, ihre Einwohner sind Götzendiener, sie haben einen König, der keinem tributpflichtig
ist. Sie besitzen eine riesige Menge Gold, aber erlauben niemand die Ausfuhr, sie
besitzen Steine jeder Art, und diese Insel ist über die Maßen reich.
Östlich der Südspitze der India meridionalis erscheint Seylam (Ceylon/Sri Lanka). Waldseemüller
beschreibt die Insel nach Marco Polo: Diese Insel ist eine der größten und besten
der Welt und hat einen Umfang von 2.040 [nach Marco Polo 2.400] Meilen. Diese Insel hat
einen sehr reichen König, der keinem tributpflichtig ist, die Menschen der Insel sind Götzendiener
, laufen alle nackt umher, besitzen mit Ausnahme von Reis keinerlei Getreide und sind
im Besitz wertvoller Steine. Sri Lanka wird als Taprobana vor India intra Gangem und als
Seylam vor der Küste Südostasiens von Waldseemüller doppelt erwähnt.
Nordöstlich schließt sich eine Inselgruppe aus dem heutigen Bereich von Indonesien an:
Java Minor (Sumatra), Angama (Insel der Andamanen), Peutam (Bintam), Necura (Insel der
Nikobaren), Java Maior (Java) und Candia. Die Lage dieser Inseln entspricht nicht der Wirklichkeit
. Waldseemüller hat diese indonesischen Inseln ebenso wie die südostasiatische Küste,
den „chinesischen Drachenschwanz", der Yale-Karte von Henricus Martellus von 1489 entnommen
.
Otto Bischof von Freising: Chronik oder die Geschichte der zwei Staaten, hg. von Walther Lammers
(Ausgewählte Quellen zur Geschichte des deutschen Mittelalters 16), Darmstadt 1961, Buch VII., Kap. 33,
S. 557f.
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