http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0067
Für den „Oberrheinischen Revolutionär" (die nur handschriftlich vorliegende Schrift entstand
zwischen 1498 und 1510) ist die Ordnung der Welt auf den Kopf gestellt: Der eebruch wirt
wer henget, der gottzlesterer groß ghalten, der Wucherer bsitzet das recht, der totschlager
spricht vrteil, der kirchenrüber, das ist der das oppfer gottes in sünden werzert vnd den gmei-
nen nutz do mit bswert, das sint die hinten der gotzhüser, die den gmainen man werfüren.
Gottes Strafe ist gewiss: Flüchen bringt tur vnd pestilentz, daß wir plüt für wasser müssen
trinken.
3.2.2 Das Schlagwort von der „göttlichen Gerechtigkeit"
Bei den Verhören in Basel erklärte Jakob Huser, auf dem Bundschuh-Fähnlein habe ein
Spruch gestanden, also lutende: „Herr, stand diner gottlichen gerechtikeit bi!" Gesehen hatte
Huser das Fähnlein nach eigenen Angaben allerdings nicht, er gab wieder, was im Joß gesagt
112
hob. Ebenfalls in Basel erklärte Kilius Meyger, Joß Fritz habe ihm das Fähnlein in geheim
[...] erzoigt. Von einem aufgemalten Spruch wisse er jedoch nichts, dann er hat dheinen [auf
dem Fähnlein] gesehen. Andererseits hat er aber ausgesagt, Joß Fritz habe an ihn die Frage
gerichtet: Kilius, wiltu uns auch helfen zu der götlichen gerechtikeit. Und wenig später heißt
es, die Bundschuher wolltent [...] gehandlet haben, was das gottlich recht anzoigt und sie un-
derwisen hett (Abb. 6). 113
Obwohl von der „göttlichen Gerechtigkeit" im Lehener Bundschuh nur in den „Bekenntnissen
" der beiden Basler Gefangenen die Rede ist, hat die Geschichtswissenschaft in ihr gleichwohl
das Schlüsselwort, den Leitgedanken und die tragende Idee des Bundschuhs gesehen und
weitreichende Schlussfolgerungen daraus gezogen.114 Deshalb müssen wir uns mit dem Begriff
der „göttlichen Gerechtigkeit" nochmals und näher auseinandersetzen.
Der Oberrheinische Revolutionär. Das buchli der hundert capiteln mit XXXX Statuten, hg. von Klaus H.
Lauterbach (Monumenta Germaniae Historica. Staatsschriften des späteren Mittelalters 7), Hannover
2009, hier S. 73 und 441. - Zu beiden Reformschriften vgl. ausführlicher Buszello (wie Anm. 4), S.
100f., und Marchal (wie Anm. 38), S. 250-258 und 276f. Lauterbach sieht in der Schrift des Oberrheinischen
Revolutionärs ein „Zeugnis für eine Tradition latenter Zeitkritik, ihrer intellektuellen Voraussetzungen
und ihrer konstruktiven Denkweisen" (S. 12).
112 Rosenkranz, Bd. 2 (wie Anm. 1), S. 193 (Nr. 69).
113 Ebd., S. 193, 194 und 196f. (Nr. 69). - Johannes Trithemius berichtet in seinen „Annales Hirsaugienses",
dass schon die Verschwörer von 1502 sich zur gerechtigkeit Gottes (iustitia Dei) als Leitidee ihres Bundschuhs
bekannt hätten (ebd., S. 89 und 91 [Nr. 1]). Jedoch ist Trithemius für den Untergrombacher Bundschuh
ein schwacher Gewährsmann, da er den Geschehnissen von 1502 „sehr ferne" stand. Vgl. dazu
Marchal (wie Anm. 101), hier insb. S. 344f., Ulbrich (wie Anm. 3), S. 48-51.
114 So Günther Franz (wie Anm. 1), der in den Aufständen und Revolten vor dem Bauernkrieg zwei Lager
oder Gruppen erkannte: zum einen den „Kampf um das alte Recht", zum anderen den „Kampf um das
göttliche Recht". Dagegen Zimmermann (wie Anm. 101), S. 159: „[...] ist es nicht möglich, die Bewegung
im Breisgau [...] als einen Kampf um das göttliche Recht zu interpretieren."
65
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0067