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wüste, wie die Herrschaft mit den Bauern von Lehen umgegangen sei und welche gewält und
Hochmut si untshar hettent müssen erliden\ und Freiburg schrieb, die Bundschuher suchten
immer dort Anhänger, do die underthanen etlicher maß mit iren herschaften spennig gewesen
.141 Doch löste Joß Fritz die einzelnen Beschwerden von jedem örtlichen Bezug und gab
ihnen eine grundsätzliche Bedeutung. Die ausgebrachten Klagen und Beschwerden ließen sich
deshalb und problemlos herrschaftsübergreifend formulieren, weil die zugrunde liegenden
Konflikte generelle Probleme der bäuerlichen Wirtschaft und der Agrarverfassung am Übergang
vom Spätmittelalter zur Frühneuzeit widerspiegelten. Damit waren alle Konflikte letztlich
unabhängig vom situationsbezogenen Anlass, sie waren strukturbedingt.
Alle Forderungen, die sich schwerpunktmäßig gegen die örtlichen Feudalherren und gegen
die Kirche „im Dorf4 richteten, sind vom Ansatz her kompatibel mit der herrschenden politischen
Ordnung. Mehr noch: Sie setzen die weitere Existenz der mediaten Gewalten geradezu
voraus. Denn warum sollte man einzelne Forderungen stellen, wenn es die Adressaten, die
„alten" Herren und Obrigkeiten unterhalb von Kaiser und Papst, gar nicht mehr geben sollte?
Die Artikel verlangen eine deutliche wirtschaftliche Besserstellung des Bauern durch
Reduzierung der Abgaben und Dienste, freie Nutzung der natürlichen Ressourcen, Jagd-
und Fischereirecht für jedermann sowie Verringerung der Schuldenlast.
Ökonomisch sind auch die Forderungen an die Kirche begründet. Die Priester sollen
sich mit einer Pfründe zufriedengeben; übermäßiger Klosterbesitz soll under das gemein
volk geteilt werden.
Gestärkt wird die Rolle der Gemeinde. Bei „schuldhaftem" Vergehen soll das örtliche
Gericht, da [der Beschuldigte] dann gesessen wer, zuständig sein. Jede Verlagerung von
Prozessen an auswärtige Gerichte soll unterbleiben; die Zuständigkeit geistlicher Gerichte
soll auf geistlich Sachen begrenzt werden.
Als abschließenden Artikel im Programm des Lehener Bundschuhs kann man die Zusage
und gleichzeitige Drohung werten: wer inen anhengig worden were, dem wolltent sie das sin
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gelassen, wer aber sich dawider gesetzt, den hettent si wellen zu tod slahen. Die Drohung,
die die Bundschuher hier aussprechen, ist keine absolute, sondern eine bedingte.143 Sie ist an
diejenigen gerichtet, die sich ihrem Vorhaben widersetzen.Wer jedoch auf ihre Seite tritt und
das Werk der Neuerung mit ihnen betreibt, dem garantieren sie das Seine. Und die Rede vom
„totschlagen" ist wohl nicht wörtlich zu nehmen; die Zeit liebte die deftigen, martialischen
Ausdrücke. Das Schicksal der Herren und Obrigkeiten hing demnach von deren Verhalten ab.
Die Bundschuher sahen die rechte Ordnung in der Kirche wie im Reich pervertiert, und sie
wollten der „göttlichen Gerechtigkeit" wieder zum Durchbruch verhelfen. Würden die Herren
und Obrigkeiten in sich gehen und sich dem Gebot der „göttlichen Gerechtigkeit" unterwerfen,
würden sie in ihren Ämtern und Würden verbleiben. Sollten sie sich jedoch dem gottgefälligen
Werk der „Besserung" widersetzen, dann müssten sie mit unvermeidlichen Konsequenzen
rechnen. Unantastbar waren nur Kaiser und Papst.
141 Rosenkranz, Bd. 2 (wie Anm. 1), S. 193f. (Nr. 69) und 183 (Nr. 64).
142 Ebd., S. 194 (Nr. 69); s. ebenso S. 145 (Nr. 21), 170 (Nr. 54), 183 (Nr. 64), 187 (Nr. 66), 191 (Nr. 69) und
203 (Nr. 78). Vom „Totschlagen" war schon im Bundschuh von 1493 die Rede.
143 Es waren die Obrigkeiten, die aus dem bedingten „Totschlagen" in den „Bekenntnissen" ein uneingeschränktes
„Vertilgen" oder „Totschlagen" des Adels und der Ehrbarkeit machten. S. etwa ebd., S. 133
(Nr. 5) oder 185 (Nr. 65).
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