http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0078
geblieben war. Denn aus dem Stand der „Arbeiter" hatte sich das Bürgertum als eigener Stand
ausgegliedert; und die führenden Familien traten vor allem in den größeren und reichen Städten
gegenüber der Mehrheit der Stadtbevölkerung durchaus als „Herren" auf.
Was das Idealbild der spätmittelalterlichen Gesellschaftsordnung nicht zeigt, ist die Tatsache
, dass das Verhältnis von Herren und Untertanen zunehmend von Spannungen und Konflikten
geprägt war, die sich in Widerstandsaktionen und Revolten entluden. 59 bäuerliche
Revolten hat Peter Bierbrauer für den Zeitraum von 1336 bis 1523 gezählt - wobei „sich alle
bisher erfassten Aufstände auf den Süden des Alten Reiches" verteilen.150 Ein Drittel von ihnen
ereignete sich im Land am Oberrhein, mit einer auffallenden Konzentration auf die drei
Jahrzehnte von 1490 bis 1520. In gleichem Maße ist auch die Geschichte der spätmittelalterlichen
Stadt von Unruhen und Auseinandersetzungen durchzogen.151
Das Reich war unruhig - auch und gerade an der Basis der Gesellschaft. Die tieferen Ursachen
dafür lagen in mittel- bis langfristigen ökonomischen, sozialen und politisch-rechtlichen
Veränderungen, deren Leidtragende am Ende die Bauern auf dem Land und Teile der städtischen
Bürgerschaft waren.
Zu den Revolten zählen auch die Bundschuh-Verschwörungen von 1493, 1502, 1513 und
1517. Gegenstand der vorliegenden Arbeit war der Lehener Bundschuh von 1513. Für ihn ist
die Quellenlage quantitativ am günstigsten; 121 Aktenstücke hat Albert Rosenkranz zusam-
152
mengetragen. Sie entstammen ohne Ausnahme obrigkeitlicher Provenienz. Der Historiker
vernimmt in ihnen die Stimme der Obrigkeiten, die sich über den Bundschuh äußern und dabei
ein Bild entwerfen, das ihren Ansichten und Interessen entsprach. Von der „Inszenierung des
Bundschuhs", vor allem durch die Stadt Freiburg, habe ich im ersten Teil dieser Arbeit gesprochen
. Was aber war der Bundschuh nach dem Willen und Vorsatz des Joß Fritz und seiner
Anhänger, was sollte er zumindest sein? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, welchen
„Durchblick" auf den Bundschuh „an und für sich" die vorliegenden Quellen uns gestatten.
Dies habe ich im dritten Hauptteil herauszuarbeiten versucht. Die wesentlichen Ergebnisse
sollen noch einmal zusammengefasst und in einen inhaltlichen Zusammenhang gebracht werden
.
Der Lehener Bundschuh war das Werk eines Mannes, des Joß Fritz. Er war Initiator, Kopf
und Vordenker, er war der houbtsecher, der, so die sach angefangen hat.
Der Bundschuh war in seiner ersten Phase eine Geheimorganisation, eine Konspiration.
Seine Mitglieder waren zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet; nichts von dem, was sie
erfahren hatten, sollte nach außen dringen.
Bei passender Gelegenheit, etwa auf einer Kirchweih, wollte der Bundschuh an die Öffentlichkeit
treten und einen landesweiten Aufstand des Gemeinen Mannes auslösen. Die Bundschuher
waren sich sicher: ob ir zum anfang glichwol nur 200 weren, so solten doch die armen
153
[...] all uf ir parthi gefallen sin. Dazu ist es nicht gekommen; Anfang Oktober wurde der
Bundschuh verraten.
Peter Bierbrauer: Bäuerliche Revolten im Alten Reich. Ein Forschungsbericht, in: Aufruhr und Empörung
? Studien zum bäuerlichen Widerstand im Alten Reich, hg. von Peter Blickle u.a., München 1980,
S. 1-68, hier S. 27 und 62-65.
S. dazu die einschlägigen Kapitel in Peter Blickle: Unruhen in der ständischen Gesellschaft 1300-1800
(Enzyklopädie deutscher Geschichte 1), München 32012.
Eine weitere Quelle, Rosenkranz, Bd. 2 (wie Anm. 1), S. 129f. (Nr. 2), gehört in das Jahr 1517; s. o.
S. 45 Anm. 18.
Ebd., S. 145 (Nr. 21); s. ebenso S. 178 (Nr. 63), 183, 185 (Nr. 64) und 187 (Nr. 66).
76
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0078