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Aschoff hat z.B. nachträglich Namen wie „Thoma" in „Thomas" abgeändert.15 Hat sich dieser
Schreibfehler aufgrund der Namensähnlichkeit mit der Frau des zu Kriegsbeginn amtierenden
Oberbürgermeisters Emil Thoma eingeschlichen? Fest steht, dass nicht die Frau des Oberbürgermeisters
gemeint war, sondern eine Frau Thomas, die Vorstandsdame der Küche, die im
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Lazarett arbeitete und von der in diesem Zusammenhang berichtet wird.
Zur inhaltlichen Vermischung verschiedener Ereignisse soll an dieser Stelle exemplarisch
das letzte Kapitel des „Ersten Buches" analysiert werden:
Anni Aschoff berichtet von ihrer Nachtschicht. Mit einer zweiten Schwester kümmert sie
sich um die Patienten, da die anderen Schwestern sich zur Ruhe legen. Im Folgenden berichtet
sie von den Verwundeten: Da ist zum einen ein Landwehrmann, welcher sich weigert, sich das
zerschossene Bein amputieren zu lassen. Dann der ihr besonders nahe stehende Patient mit
einem Lungenschuss, den sie tröstet und mit Medikamenten versorgt, sowie ein junger Fähnrich
, welcher noch in den Mannschaftsräumen liegen muss und sehr viel weint, weil er seine
Mutter vermisst. Nach den nötigsten Versorgungen treffen sich die Nachtschwestern mit dem
diensthabenden Arzt in der Teeküche, um Kaffee zu trinken, zu welchem der Arzt übrig gebliebenen
Weihnachtskuchen reicht.
Durch den Vergleich mit dem „Zweiten Buch" kann man einige Vermischungen erkennen:
1. Anni wiederholt in diesem Kapitel fast Wort für Wort die Aussage eines Soldaten,
der aus einem Albtraum erwachte, wie sie es für den 9. Februar in ihrem Tagebuch
notiert hat.
2. Der verwundete Landwehrmann ist laut des Freiburger Friedhofsbuches am 17.
18
Februar 1915 verstorben, so wie Anni Aschoff es auch unter diesem Tag notierte.
3. Der junge Fähnrich wurde am 18. Februar in die Offiziersstube verlegt. Die sich
darauf beziehenden Notizen sind vom 16. über den 18. Februar hin verteilt zu finden.
Vollkommen unklar ist, wie Anni auf das Detail mit dem Weihnachtskuchen kommt, da es
doch recht unwahrscheinlich ist, dass zu Kriegs- aber auch zu Friedenszeiten ein Arzt von seinem
Weihnachtskuchen fast zwei Monate nach Heiligabend noch Reste aufbewahrt hat und
ihn mit den Schwestern verspeist. Selbst wenn der Arzt aufgrund des Kriegszustandes besonders
sparsam war und einen lange haltbaren Kuchen zu Weihnachten bekam, würde er den
Kuchen wohl kaum so lange aufbewahren und sich rationieren, um ihn dann doch am Ende mit
den Schwestern der Nachtschicht zu teilen. Offensichtlich stammt auch dieses Detail aus einer
früheren Erinnerung.
Ob die Ereignisse aus redaktionellen Gründen miteinander vermischt wurden oder dies un-
bewusst durch die verstrichene Zeit passierte, kann nicht mehr nachvollzogen werden. Doch
durch den Vergleich mit dem „Zweiten Buch" lässt sich zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit
sagen, dass das „Erste Buch", nicht wie im Stadtarchiv notiert die Zeitspanne 1914-1918
behandelt, sondern es ist zu vermuten, dass sich der tatsächliche Zeitraum der Aufzeichnungen
von Anfang August 1914 bis Mitte Februar 1915 erstreckt.
Der Stil der Formulierungen des „Ersten Buches" lässt vermuten, dass Anni Aschoff die
Aufzeichnungen nicht nur zu ihrer persönlichen Erinnerung aufgeschrieben hat, sondern viel-
Ebd., Z. 82.
Werthmann (wie Anm. 9), S. 42.
Deutsches Tagebucharchiv e.V. Emmendingen, 2001/1, Zweites Buch.
Hier hat Anni Aschoff den Namen des Verstorbenen falsch notiert: Es handelte sich um Wolf Stutzki,
einen 24-jährigen Reservisten aus Bonkoreck, evangelischer Konfession, der unter der ,Pfarrei Militär' in
das Friedhofsbuch der Stadt Freiburg eingetragen wurde.
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