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schewisten unumgänglich. Aber er musste immer öfter Niederlagen hinnehmen, sein erbitterter
Feind, der Petrograder Parteichef Sinowjew torpedierte erfolgreich Gorkis Interventionen, so
als es darum ging, dem todkranken Dichter Alexander Blok die Ausreise in ein Sanatorium in
Finnland zu ermöglichen oder den Lyriker Gumiljow vor der Exekution wegen „konterrevolutionärer
Tätigkeit" zu retten. Lediglich der Freundschaft mit Lenin hatte es Gorki zu verdanken
, dass er noch in Freiheit lebte. Zuletzt wurde er dem Sowjetstaat noch einmal nützlich, als
er 1921 mit Aufrufen an die Schriftstellerkollegen in aller Welt und die ausländische Presse
dazu beitrug, dass endlich eine effektive Hilfe gegen die gigantische Hungerkatastrophe in der
Sowjetunion in Gang kam. In Deutschland war es der an Gerhart Hauptmann adressierte Notruf
, der die Reichsregierung unter dem gebürtigen Freiburger Joseph Wirth zur Beteiligung an
der Hilfsaktion bewog. Allerdings beschränkte man sich auf ärztliche Hilfe und Heilmittelsendungen
, weil Nahrungsmittelhilfen im Nachkriegsdeutschland nicht durchsetzbar gewesen
wären. Aber so wertvoll der prominente Gorki als Sympathieträger für das Regime auch war,
jetzt wurde er der Führung zunehmend lästig. Als seine seit 1896 bekannte Lungentuberkulose
wieder zu den alarmierenden Symptomen Bluthusten und Fieber führte (ihn wie ein bösartiger
Hund attackierte) , und auch die (absolut unübliche) Röntgenbestrahlung der Milz keine Besserung
erbrachte,4 empfahl Lenin dem Freund dringend, die Krankheit im Ausland auskurieren
zu lassen. Dass auf diese Weise der unbequeme Dichter für einige Zeit lang auf Distanz von
dem Geschehen in der Sowjetunion gehalten werden konnte, hatte der Taktiker bei seiner
Empfehlung mit Sicherheit in Betracht gezogen!
Im Oktober 1921 reiste der jetzt 53-Jährige in Begleitung seines Sohnes Maxim, der
Schwiegertochter Timoscha und des Freundes Rakicki zunächst nach Berlin. Die Stadt war
ihm nicht unbekannt: 1906 hatte er seine Reise in die USA hier unterbrochen, um mit den
führenden Köpfen der SPD Bebel, Liebknecht, Kautsky und Rosa Luxemburg Kontakt
aufzunehmen. Wie er danach an Lenin berichtete, konnten ihm lediglich Rosa Luxemburg und
Liebknecht imponieren; in der Wohnung Bebels hatte ihn die kleinbürgerliche Atmosphäre mit
Spitzendeckchen und dergleichen genervt. Es hieß damals, Gorki hätte in Deutschland eine
größere Leserschaft als sämtliche deutschen Schriftsteller zusammen. Seit 1903 war sein
„Nachtasyl" über 500-mal im „Kleinen Theater" aufgeführt worden, und Max Reinhardt
veranstaltete Gorki zu Ehren eine Sonderaufführung; unter dem Publikum waren auch der
Kronprinz und Reichskanzler Bülow. Jetzt dagegen verlief seine Ankunft sang- und klanglos,
die über hunderttausend russischen Emigranten verhielten sich abweisend: Warum nahm Gorki
nicht Stellung gegen die bolschewistische Regierung in Moskau?
Gorki ließ sich in der Berliner Charite vom Lungenspezialisten Prof. Kraus untersuchen.
Der Befund: Tuberkelbakterien im Auswurf, also offene Tuberkulose, Verwachsungen zwischen
Lungenfell und Herzbeutel und nur noch ein Drittel ungeschädigter Lunge. Der Professor
empfahl eine unverzügliche Kur im Süden oder im Schwarzwald. Schon Anton Tschechow,
seit 1899 mit Gorki befreundet, hatte sich von Badenweiler eine Besserung seiner Tuberkulose
erhofft - allerdings war ihm bei dem fortgeschrittenen Stadium seiner Erkrankung nicht mehr
zu helfen, er starb am 15. Juli 1904.
Wolfgang Eckart: Nach bestem Willen tatkräftige Hilfe leisten, in: Ruperto Carola 1999/Heft 3, S. 15-
20.
Kjetsaa(wie Anm. 1), S. 288.
Nina Berberova: Baronin Budberg, Hildesheim 1992, S. 139. Der Leibarzt Gorkis, Dr. Manuchkin,
wandte seine Therapie 1922 in Paris auch bei der Schriftstellerin Katherine Mansfield an, der die
Milzbestrahlung ebenfalls keinen Nutzen brachte.
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