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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0115
gesetzt. Auch Gorkis Ehefrau Jekaterina Peschkowa, von der er sich bereits 1903 „im Guten"
getrennt hatte, reiste an, um sich zu erholen und außer ihrem Ex-Mann den Freund Nikolajew
zu besuchen. Gorkis Disziplin gegenüber dem Kurregime ließ nach: Er dürfte nicht der Einzige
gewesen sein, der die Liegekur schwänzte - schließlich war er Kettenraucher, und während
der Liegestunden war Rauchen streng untersagt. Im Januar schien das Tuberkulöschen im
Griff, der Auswurf enthielt keine Erreger mehr. Auf zusätzliche Therapieschritte wie das Anlegen
eines Pneumothorax konnte somit verzichtet werden, auch die damals noch übliche Behandlung
mit Tuberkulin blieb ihm anscheinend erspart - Prof. Bacmeister beurteilte diese
Therapieform wesentlich skeptischer als seine Fachkollegen in anderen Heilanstalten, für die

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sie als Standardbehandlung galt. Ob die laut Prof. Bacmeister in ausgesuchten Fällen erfolgversprechende
Röntgenbestrahlung der tuberkulösen Lungenherde22 auch bei Gorki zur Anwendung
kam, ist nicht zu klären. Die jetzige Lungenfachklinik sieht sich außerstande, Einzelheiten
des damaligen therapeutischen Vorgehens mitzuteilen.

Die zweite, die diätetische Säule der Tuberkulosebehandlung bestand darin, durch eine fett-
und kohlehydratreiche Ernährung die Kachexie, die Auszehrung aufzuhalten und die
Widerstandskraft zu erhöhen. Gorki machte sich über die Menüs lustig: „Stille Eier", Suppen
[deren eine „Milchstraße" benannt war], die sogar ein Kamel verschmähen würde.

Am 26. Dezember hatte Gorki seinem Verleger mitgeteilt, er habe bisher seine literarische
Tätigkeit noch nicht wiederaufgenommen, einige Wochen später schrieb er: Ich arbeite
wirklich viel und würde noch mehr arbeiten, wenn Dr. Bacmeister mich nicht dabei stören
würde. In der Arbeit war jetzt der Artikel „Vom russischen Bauern", der am 15. Januar
abgeschickt werden konnte. Gorki beschuldigte darin das russische Bauerntum der
Grausamkeit und Unbarmherzigkeit und nahm damit eine Gegenposition ein sowohl zur
idealisierenden Sicht Leo Tolstojs als auch zur bolschewistischen Doktrin vom
„Klassenbündnis zwischen Proletariat und Bauernschaft". Der Essay löste deshalb bei den
Emigranten ebenso wie in der Sowjetunion lebhafte Kritik aus. Ein weiterer Text über W.
Korolenko, den entscheidenden Förderer seiner literarischen Anfangsjahre, sollte folgen. Als
letzten Teil seiner autobiografischen Trilogie schrieb er in dieser Zeit „Meine Universitäten",
und schließlich hatte er auch die in Berlin vorgesehene Ausgabe seiner gesammelten Werke zu
redigieren.

Auf den 25. Januar datiert ist Gorkis Beitrag zur „Festschrift der Frankfurter Goethewoche
". Sie bitten mich, Ihnen einige Zeilen über meine Stellung zu Goethe zu schreiben: Nun,
was sollte ich da eigentlich wohl sagen? Tatsächlich ist dem Beitrag die Ratlosigkeit anzumerken
. Er liest sich nicht im Geringsten wie eine Huldigung an den zu Feiernden, eher wie ein
Dokument von Resignation und Pessimismus: Die Schatten der einst unter uns gewesenen
Großen (darunter auch Goethe) müssten sich angesichts einer vom Krieg verwüsteten und von
einem Untergang in Chaos und Blut bedrohten Welt eingestehen: Jawohl, wir haben umsonst

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Großes geschaffen! In einem Brief an R. Rolland gab Gorki zu, dass er den Beitrag in fürchterlicher
Stimmung verfasst habe.24

Sorgen machte sich jetzt Gorki um den Zustand seines Sohns, eines guten, sehr begabten
Burschen, dessen Nerven schlecht sind und der so willensschwach ist, daß er zum Arbeiten

Gustav Liebermeister: Tuberkulose, ihre verschiedenen Erscheinungsformen und Stadien sowie ihre
Bekämpfung, Berlin 1921, S. 387ff.

Adolf Bacmeister: Die Röntgenbehandlung der nichtchirurgischen Tuberkulose, insbesondere der
Lungentuberkulose, in: Real-Encyclopädie der gesamten Heilkunde, hg. von Theodor Brugsch,
Berlin/Wien 1921, S. 295-303.
Die Frankfurter Goethewoche, Frankfurt 1922, o. S.

Correspondance Romain Rolland-Maxime Gorki, Cahier28, Paris 1991, S. 65.

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