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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0120
Obwohl es etwas eng zuging, wurde die am 5. September bezogene Datscha als wunderbar
und gemütlich geschildert. Da Gorki praktisch keine Fremdsprachenkenntnisse hatte, war er
für seine Korrespondenz mit Stefan Zweig, Romain Rolland und anderen auf die Übersetzung
durch M. Budberg angewiesen. Der einzige Freiburger, der zu Gorki Kontakt hatte, war
offenbar der aus St. Petersburg stammende Gründer und langjährige Leiter des Russischen
Chors, Alexander Kresling, der seinen Erinnerungen zufolge im Herbst 1923 fast jeden Abend
nach Günterstal kam; die beiden verband die Liebe zur musikalischen Folklore Russlands.42

Ein weiterer russischer Emigrant, der Philosoph Fedor Stepun, wohnte damals ganz in der
Nähe (im Weilersbacher Weg) als Gast des Philosophieprofessors Jonas Cohn. Er hatte die
demokratische Revolution im Februar 1917 begrüßt, war Propagandachef im Kriegsministerium
der provisorischen Regierung unter Kerenski geworden und entging nach dem Sieg der
Bolschewisten im Oktober nur knapp der Liquidation. Stepun hatte seine Vorbehalte gegenüber
dem Schaffen Gorkis, der ihn in seinen Briefen nur flüchtig erwähnte.43 Dafür kamen zu
Gorki häufig andere russische Gäste, wie der amerikanische Schriftsteller Barrett H. Clark in
einer detailreichen Schilderung seines Besuchs am 30. September beschrieb 44 Clark fand den
Dichter in besserem Gesundheitszustand vor als zuvor in Bad Saarow. Gorki hatte vor, das
Abendessen mit russischen Spezialitäten selber zuzubereiten, weshalb auch lange Diskussionen
an diesem Tag nicht vorgesehen waren: Wenn er koche, solle man ihn nicht mit Gesprächen
über weltbewegende Themen nerven, hatte „Moura" als Richtschnur festgelegt.

Zwei Zwischenfälle hatten ihn zuletzt verärgert: Vor drei Tagen war eine seiner wundervollen
Perserkatzen böswillig von dem Sohn des Nachbarn, eines adligen ehemaligen Generals,
erschossen worden. Maxim jr. hatte den Burschen schießen gesehen, die beiden begannen sich
zu schlagen, „Moura" konnte sie trennen. Nun drohte Gorki, den Missetäter umzubringen und
ging mit einem Stock auf ihn los, schließlich gelang es, Gorki ins Haus zurückzubringen. Das
zweite Ereignis: Die ganze Familie war in die Stadt ins Kino gegangen. Dort war ein Mann mit
der Toilettenfrau in Streit geraten, schlug und trat sein Opfer, während die Umstehenden zuschauten
. Gorki marschierte mitten in das Gedränge, und wieder konnte er nur mit Mühe daran
gehindert werden, den Angreifer zu verprügeln. Dem Deutschen fehle es an Männlichkeit, bemerkte
Gorki zu dem Vorfall, und ließ sich weiter über die Deutschen mit ihren kindischen
Beschwerden aus, die er allmählich satt habe; der gegenwärtige wirtschaftliche und politische
Umbruch beseitige rasch den dürftigen Schleier ihrer Zivilisiertheit und zeige das blöde Tier
darunter.

Mit Herbstbeginn 1923 begann sich die Situation in Deutschland für den Emigranten zu
verdüstern. Das Schicksal seines Katers war für Gorki ein Symbol der zunehmenden Gewaltbereitschaft
in Deutschland; die sich abzeichnende politische Radikalisierung erinnerte ihn an
die Oktoberrevolution: Das Leben hier fängt an unruhig zu werden (mir allzu bekannt) und
nimmt mir sehr bekannte (russische) Züge an: Arbeiter [auf deren Fahnen der Sowjetstern
prangte] und Bauern werfen [in Lörrach] Granaten auf die Polizisten, die Polizei schießt zurück
. Gestern war in Freiburg eine Versammlung, es haben sich zwanzigtausend Menschen
versammelt, und es wurde [von den Kommunisten]45 ein Generalstreik ausgerufen.^ Während
in Lörrach ein Demonstrant von der Polizei erschossen wurde,47 ging es in Freiburg zwar e-
benfalls turbulent, aber harmloser zu. Gorki berichtete: Neulich hat die Menge in Freiburg bei

Interview mit Alexander Kresling, in: Freiburger Universitätsblätter 57 (1977), S. 17-34.

Christian Hufen: Fedor Stepun. Ein politischer Intellektueller aus Russland in Europa, Berlin 2001, S.

128f.

Barrett H. Clark: Intimate portraits, New York 1951, S. 19ff.
Wolfgang Hug: Geschichte Badens, Stuttgart 1992, S. 321.
Gorki (wie Anm. 14), S. 247f.
Freiburger Zeitung vom 18. September 1923.

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