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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0122
ber beschloss er unter dem Eindruck der wirtschaftlichen und politischen Instabilität, Freiburg
zu verlassen. In einem seiner letzten Briefe entwarf Gorki ein schonungsloses Porträt seines
Gastlandes: Das Leben hier wird immer härter und unangenehmer. Der Staat der „Bürger"
ist in Zersetzung begriffen und man bemerkt keine Kraft, die diese Zersetzung anhalten könnte
. Die „Bürger" sind ausschließlich durch die Sorge in Anspruch genommen sich Dollars zu
beschaffen. [...] Die Intelligenz leidet Hunger und wendet sich in der Mehrzahl nach Bayern.
Sie ist sehr seltsam, die hiesige Intelligenz, soweit ich es beurteilen kann: Ihr politischer Konservativismus
scheint mir ebenso fratzenhaft wie ihr so krankhaft aufgeblasener Nationalismus
. Und Gorki führte als Beispiel einen sehr bekannten Philosophen, Husserl, an, der [in
Offenburg] die Auffassung äußerte, die einzige ideale Staatsführung hätte Deutschland in den
1848er-Jahren gehabt, als hundertfünfzig Professoren dem Parlament angehörten.5®

Schon in St. Blasien war die Idee entstanden, wieder nach Italien zu ziehen. Jetzt jedoch zögerte
Mussolinis Regierung die Erteilung der Visa hinaus. Gorki beschloss deshalb, zunächst
über Berlin in die Tschechoslowakei zu fahren. Am 8. November 1923 schrieb er erwartungsfroh
: wir, tutta famiglia, begeben uns samt Büchern, Katzenjungen, Hunden und Parieren
nach Berlin. Und das mit großem Vergnügen, da wir es mächtig satt sind, hier zu sein. Seinen
Überdruss an Deutschland formulierte Gorki noch mehrfach: Am 25. November: Hier zu
leben ist schwer und teuer. Die Deutschen sind ein sehr seltsames Volk! Ihre seelische Armut
und Grobheit ist erstaunlich. Aber: Ihre politische Situation ist unglaublich mühsam, und ihre
Geduld absolut bewundernswert. Und ich dachte, es gebe kein Volk, das geduldiger wäre als
die Russen.5

Im Dezember aus Marienbad ein letzter Rückblick (Abb. 5): Es wurde unerträglich in
Deutschland zu leben. Die Kultur ist ein erstaunlich zerbrechliches und feines Ding, und es ist
unheimlich zu beobachten, wie schnell sie sogar einem so disziplinierten und gedrillten Volk

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wie den Deutschen verlorengeht.

Während der kommenden acht Jahre in Sorrent, den glücklichsten seines Lebens, blieb Gorki
von der Tuberkulose verschont. Dafür plagte ihn zunehmend das Heimweh.

Trauriger Abgesang

1928 reiste Gorki erstmals wieder in die Sowjetunion, wo man ihm einen überschwänglichen
Empfang bereitete. 1932 kehrte er endgültig heim und hatte noch vier Jahre zu leben. Der seit
1921 erreichte materielle Aufschwung der Sowjetunion beeindruckte Gorki so tief, dass er sich
blenden ließ und Stalins Täuschungsmanöver nicht mehr durchschaute. Er wurde zum inoffiziellen
Kulturminister und hatte in Stalins Auftrag den „Sozialistischen Realismus" zu proklamieren
(den er aber selber in seinem unvollendeten Spätwerk „Klim Samgin" keineswegs
praktizierte). Die Gunst des Diktators gipfelte in der Umbenennung von Gorkis Geburtsstadt
Nischni-Nowgorod in „Gorki". Zum Schluss wurde er in einer luxuriösen Villa ständig vom
Geheimdienst überwacht und von Besuchern abgeschottet. 1935 besuchte ihn Romain Rolland,
aber es wurde eine enttäuschende Begegnung ohne jenen offenherzigen Gedankenaustausch,
wie er seit 1918 in ihrer Korrespondenz geführt worden war. Doch unter dem Anschein eines
jovialen alten Bären, dem man einen Ring durch die Nase gezogen hat, sah Rolland Schmerz

Brief an Romain Rolland vom 6. November 1923, Correspondance (wie Anm. 24), S. 113f.
Gorki (wie Anm. 14), S. 266.
Ebd., S. 270.
Ebd., S. 272.

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