http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0134
Verantwortungsbewusstsein und eine im besten Sinne deutsch-nationale Gesinnung sprechen
aus den Worten, mit denen Tochter Elisabeth nach dem Krieg ihren Vater skizziert: Mein
Vater war immer ein sehr pflichtgetreuer Staatsbürger. Im Ersten Weltkrieg war er zuerst
Stabsarzt und Leiter des Lazaretts Karlstr, ging dann (als Stabsarzt mit den deutschen Truppen
in Belgien) freiwillig an die Front, obwohl er Frau und minderjährige Kinder zurücklassen
musste. Meine [...] Mutter war zudem ganz gebrochen, da sie ihren ältesten Sohn Oskar
fürs Vaterland verloren hattet Die glänzende Vermögenslage beider Ehepartner sowie der
berufliche Status als praktizierender Arzt sichern der Familie lange Jahre einen gehobenen
Lebensstil, in welchem bürgerlich-konservative Wertvorstellungen mit Bildung an herausragender
Stelle gepflegt werden. Ganz selbstverständlich besucht neben den Jungen auch Elisabeth
die Universität und beendet ihr Medizinstudium 1922 mit der Approbation in Freiburg.
Levis fachliches Können wird einmal von keinem geringeren als von Maxim Gorki gewürdigt
. Der berühmte russische Schriftsteller hält sich im Sommer und Herbst 1923 in Günterstal
auf, um sich im Reizklima des Schwarzwaldes wegen seiner TB behandeln zu lassen. Am 7.
August schreibt er in einem Brief an eine Frau Andreeva: Gnädige Frau, ich bin fast gesund
geworden; nur in der linken Lunge pfeift es noch ein bisschen. Ich habe einen guten Arzt. Er
behandelt mich gratis, was mir eigentlich peinlich ist. Ich muss ihm etwas als Geschenk bringen
.
Dass es sich hier um Josef Levi handelt und wie das Geschenk aussehen soll, klärt eine
Textstelle in Gorkis Archiv; dort ist der Entwurf eines Textes überliefert, den der Schriftsteller
als Kerngedanken eines Autogramms als Präsent für seinen Arzt verwenden wird: Dem Arzt
Levi für seine Autographenkollektion: Wenn man sich der Juden bedenkt, fühlt man sich blamiert
[...]. Sicherlich habe ich nicht vergessen, dass die Menschen einander viele verschiedene
Ekels machen. Aber den Antisemitismus halte ich unter anderen für den ekelhaftesten davon
. M. Gorkij 31X23 Günterstal.15 Ein schönes Geschenk für einen gebildeten Menschen -
doch eine bittere Wahrheit, die wie vorausahnend sein späteres Schicksal vorwegnimmt.
10 Jahre später sieht sich Josef Levi in einer Reihe von Ärzten und Zahnärzten genannt, die
„Der Alemanne" unter der Überschrift Boykottiert folgende Freiburger Juden! an den Pranger
stellt.16 Neben Medizinern nennt das „Kampfblatt der Nationalsozialisten Oberbadens" auch
andere Berufsgruppen und verlangt von seinen Lesern, unverzüglich alle geschäftlichen Beziehungen
mit ihnen abzubrechen. Bei vielen Menschen fällt die Aufforderung, sich nicht
mehr von jüdischen Ärzten behandeln zu lassen, schnell auf fruchtbaren Boden. Auch Dr. Levi
wird Opfer dieser Verfolgungsstrategie.
Zwar hatte sich ab Anfang der 1930er-Jahre sein Einkommen merklich verringert, da er mit
68 Jahren bereit war, sich beruflich etwas zurückzunehmen. Jetzt aber muss er erkennen, dass
die Patienten ihrerseits immer mehr ausbleiben. Die Boykottaktion, welche beabsichtigte,
breite Bevölkerungsschichten propagandistisch auf nachfolgende Schritte einzustimmen, hat
ihr erstes Ziel erreicht und die Reichsregierung ist unverzüglich zu weiteren repressiven Maßnahmen
entschlossen. Um sich vollends der jüdischen Ärzteschaft zu entledigen, bedient sie
sich schon 1933 eines wirkungsvollen Instrumentes: Sie entzieht den ungeliebten Ärzten die
Kassenzulassung. Da vorerst noch gewisse Ausnahmebestimmungen gelten, erhält Levi - im
StAF,F 196/1-4872.
Klaus Hockenjos: „Interessant ist hier die Vegetation", in: Badische Zeitung vom 28. Dezember 2011.
Weitergehende Informationen verdanke ich der Korrespondenz mit Herrn Hockenjos. Vgl. dessen Beitrag
„Maxim Gorki im Schwarzwald" in dieser Ausgabe des Schau-ins-Land.
Der Alemanne vom 1. April 1933. Zu den Ereignissen in Freiburg siehe Andrea Brucher-Lembach: ...
wie Hunde auf ein Stück Brot. Die Arisierung und der Versuch der Wiedergutmachung in Freiburg (Alltag
& Provinz 12), Bremgarten 2004, S. 27ff.
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