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fang musste schriftlich quittiert werden. Ab Oktober 1941 wurde jegliche Auswanderung ü-
berhaupt und das Verlassen des Wohnorts ohne behördliche Genehmigung verboten. Zu Beginn
1942 mussten alle Juden ihre Pelz- und Wollsachen an die Wehrmacht abgeben; Zeitungen
durften nicht mehr abonniert werden, die Nutzung öffentlicher Einrichtungen wie Verkehrsmittel
oder Fernsprecher wurde ihnen untersagt. Mitte 1942 waren alle optischen und
elektrischen Geräte, Fahrräder und Schreibmaschinen abzuliefern. Weitere Erlasse folgten: die
Maschinerie der Entrechtung ließ sich durch die Deportationen nicht unterbrechen.

Mit derselben unerbittlichen Konsequenz wie bei der Ausgrenzung bemächtigte sich der
NS-Staat der materiellen Güter der jüdischen Bevölkerung. In einem über mehrere Jahre dauernden
Prozess erfuhren die Betroffenen eine sukzessive Ausplünderung ihrer gesamten Vermögenswerte
.

Bei der ersten Phase 1936 bis zum Ausbruch des Krieges hatten die Maßnahmen darauf
abgezielt, die berufliche Existenz der Gewerbetreibenden zu vernichten und die finanziellen
Lebensgrundlagen aller jüdischen Bürger zu erschüttern. Die wesentlichen Instrumente für
diese Eingriffe hießen „Arisierung", „Judenvermögensabgabe" und „Reichsfluchtsteuer".

Mit dem Beginn der Deportationen Ende 1940 fielen dann weitere Schranken auf dem Weg
zur völligen Enteignung. Bei der Ausweisung nach Gurs war in der Frage, was mit dem zurückgelassenen
Besitz geschehen solle, noch eine gewisse Zurückhaltung der Behörden zu
beobachten. In Freiburg oblag seine „Verwaltung und Verwertung" zunächst der örtlichen
Polizeidirektion, später dem Finanzamt Freiburg „Abteilung jüdisches Vermögen". Dieses
koordinierte die Termine für die Versteigerungen aller zurückgelassenen Haushalte; deren
Erlöse wie auch Bargeld und Bankguthaben flössen auf sogenannte „Anderkonten", welche
den Namen der ehemaligen Besitzer noch beibehielten aber gesperrt waren. Über Monate hinweg
und in rascher Folge wurden nun diese Aktionen durch die Gerichtsvollzieher durchgeführt
; die Tageszeitungen veröffentlichten vorab die Termine, der Andrang war riesig. Erst die
11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz von 25. November 1941 entzog dann allen im Ausland
lebenden Juden die Staatsbürgerschaft und damit verknüpft ihr ganzes Vermögen, welches
„dem Reich verfiel".26 Beide Bestimmungen galten auch für diejenigen Betroffenen, welche in
die Ghettos und Konzentrationslager der besetzten Gebiete verschleppt worden waren.

Ein Erlass vom November 1941 engte schließlich die Verfügungsgewalt über das private
Eigentum völlig ein. Er zielte auf die Praxis der „Schenkungen" ab und unterband diesen Weg,
mit welchem die wenigen noch verbliebenen jüdischen Bewohner in letzter Stunde versuchten,
wenigstens Teile ihres Besitzes vor dem drohenden Zugriff des Staates zu retten. Einigen aus
unserer Freiburger Gruppe ist dies noch rechtzeitig und erfolgreich gelungen: Anna Reiss
schenkte 70.000 RM an ihre engsten Angehörigen, musste allerdings in ein Sperrdepot von
zwei Jahren einwilligen; Rosa Sinauer verkaufte ihr Haus Erbprinzenstr. 8 an zwei mit ihr
befreundete Damen, erließ ihnen aber den Kaufpreis für eigenes ewiges Wohnrecht. Marie
Noether schenkte ihren gesamten Hausrat aus der Urachstr. 53, darunter ein komplettes Biedermeierzimmer
, an ihre langjährige Pflegerin Luise K.; im Schenkungsvertrag wurde vereinbart
, dass sie an allen Gegenständen nur noch ein Besitzrecht ausübe, welches bei einer „Abwanderung
" endet.27

Die hier beschriebenen Größenordnungen täuschen jedoch über die „normale" Lebenssitua-

Reich (Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs 9), Karlsruhe 1988, S. 364.

Ebd., S. 364ff. Ebenso Thilo Pflugfelder: Verfolgungsmaßnahmen gegen Juden in Baden während des
„Dritten Reichs", hg. von der Landeszentrale für Politische Bildung, Stuttgart [ca. 1980], S. 40ff.
Reichsgesetzblatt I 1941, S. 723: „§ 3. (1) Das Vermögen des Juden, der die deutsche Staatsangehörigkeit
auf Grund dieser Verordnung verliert, verfällt mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit dem Reich."
StAF, F 196/1-03019 (Anna Reiss), -06087 (Rosa Sinauer) und -04909 (Marie Noether).

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