Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0139
tion hinweg. Der wirklichen Dimension entspricht eher der Anlass einer Postkarte, welche
Frau Frieda Hauser, „arische" Ehefrau des jüdischen Professors Ludwig Hauser, am 17. Oktober
1942 an das Freiburger Finanzamt sendet: Ich erhielt von Fräulein Reiss, früher wohnhaft
Schlageterstr. 26, die Zusage, eine Kartoffelkiste zu bekommen. Ich habe dieselbe dieser Tage
dort abgeholt.1

Ida Reiss gehört auch zum Personenkreis unserer Gruppe. Längst hat niemand mehr ein
geregeltes Arbeitseinkommen. Viele leben in außerordentlich prekären Verhältnissen von ihrem
Vermögen oder mit Hilfe einer kleinen Unterstützung durch Verwandte oder die Jüdische
Gemeinde. Aus finanziellen Gründen und im Zuge der Reduzierung auf das Lebensnotwendigste
hat Adolf Besag Teile seiner Wohnungseinrichtung verkauft. Eine Frau Luise L., Er-
winstr. 12, gibt nach dem Krieg zu Protokoll: Ich habe von einem Juden namens Besag ein
Herrenzimmer für RM 700 gekauft, weil er mich bat, das Zimmer ihm abzunehmen. Dieses

29

Herrenzimmer wurde durch einen Bombenangriff in der Herrenstr. zerstört.

Fast die Hälfte von ihnen hat gezwungenermaßen ihre ursprüngliche Freiburger Adresse
verlassen und lebt nun konzentriert auf engstem Raum: das Ehepaar Besag und Rosa Sinauer
in der Erbprinzenstr. 8, Laura Bloch und die Geschwister Jakob und Minna Maier in der Nie-
mensstr. 9, in den beiden „Judenhäusern" Ludwigstr. 32 Jette Judas, Regine Bloch, Sofie
Braun, Lina Fleischmann, Anna Reiss und die Eigentümerin Hedwig Weil sowie Ida Reiss,
Bernhardine Süssmann und das Ehepaar Levi in der Schlageterstr. 26. Das bedeutet natürlich
eine erneute Ghettoisierung, verbunden mit dem beklemmenden Gefühl der Isolation. Viel
bedrückender jedoch ist die Angst vor der eigenen Deportation.

Am 1. Dezember 1941 waren bereits 1.000 jüdische Einwohner württembergischer Gemeinden
aus ihrer Heimat „evakuiert" worden und von Stuttgart aus in Richtung Riga einem ungewissen
Schicksal entgegengefahren. Ein weiterer Deportationszug hatte Stuttgart am 26. April
1942 in das ostpolnische Izbica verlassen; in ihm befanden sich 76 jüdische Bürger aus Baden,
darunter vier Freiburger. Margarete Wagner gehörte zu ihnen. Nur wenige Tage zuvor war ihr
die Benachrichtigung über den unmittelbaren Abtransport zugestellt worden; durch den Tod
ihres Mannes hatte sie den Schutz des „arischen" Ehegatten verloren. Ihre Mutter Rosa Sinauer
, bei der sie im elterlichen Haus Erbprinzenstr. 8 wohnte, hatte die Deportation mit ansehen
müssen - nie mehr war ein Lebenszeichen der Tochter gekommen. Und jetzt wurde sie selbst
mit fast identischen Worten zur Teilnahme an dem in wenigen Tagen von Karlsruhe ausgehenden
„Abwanderungstransport" aufgefordert.

In den Briefen des Ehepaares Levi an ihre Tochter in den USA geht es vorrangig um die
Probleme der aktuellen Lebensbewältigung. Es kennzeichnet sie besonders, dass immer noch
Hoffnung und Lebensmut durchblicken; und man gewinnt den Eindruck, dass dies nicht nur in
beruhigender Absicht an die Adresse Elisabeths geschieht. Dabei erweisen sich alle Bemühungen
, Emigrationspapiere zu erhalten, endgültig als enttäuschend und aussichtslos. Hierzu folgender
Brief vom 21. April 1941: In Berlin ist Dr. //[omburger; jüdischer Rechtsanwalt und
Freund der Familie] bei der Schiffahrtsgesellschaft gesagt worden, bis in den Herbst hinein
seien alle Schiffsplätze bei der American Export für solche Amerikaner, die sich in Europa
aufhalten und nach USA heimfahren wollen, reserviert. Vor Ende dieses Jahres oder Anfang

Originaldokument im Besitz des Verfassers. In den Akten des Staatsarchivs Freiburg zur Wiedergutmachung
und Restitution befinden sich viele Originaldokumente, die in Bezug zu dem zurückgelassenen Eigentum
von Ida Reiss, Schlageterstr. 26, stehen. Dabei wird in erschreckender Weise offenkundig, in
welch schamloser Weise man sich, quer durch alle Bevölkerungsschichten, in einer Schnäppchenjagd an
dem zur Schau gestellten und von der Gestapo vorher geplünderten Wohnungsinventar bereichert hat.
StAF, F 196/1-06077 (Ida Reiss).
Wie Anm. 3 (Adolf Besag).

137


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2013/0139